Anmerkung, bevor Ihr lest: In dieser Geschichte lasse ich unserer Protagonisten richtig leiden. Manchmal hört man ja schlimme Dinge und plötzlich hat man eine Idee für eine Fanfiction im Kopf. Ich habe auch einen Logikfehler gefunden: Mittlerweile war ich in Ramsau und weiß, dass die Reiteralm nicht in der Nähe des Hofes ist. Bei Gelegenheit werde ich da nochmal was umschreiben. Ich hab auch keinerlei medizinische Ahnung, ich habe alles ergoogelt.
Simon pfefferte frustriert seine Jacke auf den Stuhl und wischte sich mit beiden Händen über sein Gesicht. Jessi, die in eine Akte vertieft auf seiner Couch saß, blickte erstaunt nach oben. Fragend sah sie ihn an. „Was ist denn mit dir los?“
„Der Michi hat mich gerade angerufen, Markus hat sich frei genommen für den Rest der Woche. Die Katharina spinnt“, begann er unvermittelt. „die hat vorhin den Markus verlassen.“ Simon schüttelte fassungslos seinen Kopf.
„Oh, das ging aber schnell“, sagte sie desinteressiert und widmete sich wieder ihrer Akte.
Fassungslos starrte Simon Jessi an. „Du wusstest davon?“
Ohne den Blick zu heben kam ein schlichtes „Ja“ über ihre Lippen, unterstrichen von einem Schulterzucken. „Katharina will halt ein Kind und der Markus nicht“, sagte sie abwesend.
„Der Markus KANN keine Kinder zeugen.“
„Adoptieren will er aber auch nicht“, sagte sie beiläufig.
„Und dann verlässt sie ihn gleich deswegen? Ohne Markus wird sie doch niemals glücklich. Warum tut sie denn sowas unüberlegtes?“
„Unüberlegt?“ Jessi legte ihre Akte nun auf die Seite und sah ihren Freund, der an dem Stuhl gelehnt stehen geblieben war, über den er gerade seine Jacke geworfen hatte, fragend an. „Soll Katharina etwa auf ein Kind verzichten, nur weil Markus keins mit ihr will? Da müssen sie eben in den sauren Apfel beißen und sich trennen.“
Simon schüttelte leicht seinen Kopf. „Was hat Katharina euch eigentlich beim Mädelsabend erzählt?“ Simon beschlich das ungute Gefühl, dass diese Entscheidung zur Trennung nicht alleine auf Katharinas Mist gewachsen war.
„Was soll sie schon groß erzählt haben? Sie will ein Kind, Markus nicht. Sie war total unglücklich, weil er ihren Adoptionsvorschlag kategorisch abgelehnt hatte. Sie hat bitterlich geweint und war total fix und fertig.“
„Und was habt ihr ihr für einen Rat gegeben?“, fragte Simon, obwohl er sich die Antwort auf seine Frage schon denken konnte.
Jessi widmete sich wieder ihren Papieren und antwortete abwesend. „Dass sie sich schnellstens trennen soll, wenn sie unglücklich ist. Führt doch sonst zu nix.“
„Das ist nicht dein Ernst, Jessi.“ Simons Stimme erhob sich dabei.
Erstaunt sah sie ihn an. „Was hast du denn für ein Problem damit?“
„Was ich für ein Problem habe? Das sind unsere Freunde! Und du und Verena ratet Katharina einfach zur Trennung? Seid ihr noch ganz dicht!?“
„Ja, weil es keinen Mittelweg zwischen Kind oder nicht Kind gibt. Halbe Kinder habe ich noch keine gesehen.“
„Aber das ist doch trotzdem kein Grund die Liebe seines Lebens wegzuwerfen!“ Simon funkelte sie nun böse an. Diese Einstellung machte ihn richtig wütend.
„Soll sie stattdessen lieber weiter leiden?“, fragte Jessi verständnislos.
„Nein, die Beiden sollten miteinander REDEN! Gemeinsam Lösungen finden.“
„Was soll das denn bitte bringen, wenn beide eine andere Lebensplanung haben?“
„Habt ihr auch nur mal eine Sekunde darüber nachgedacht, was die Beiden in den letzten Wochen mitgemacht haben? Dass die Zwei vielleicht einfach gerade nicht klar denken können?“
„Was hat das denn bitte mit einem Kinderwunsch zu tun?“
„Schon mal überlegt, dass Mias Weggang den Markus dazu gebracht haben könnte, eine Adoption so vehement abzulehnen? Und dass Katharina ebenso unter Mias Weggang leidet wie Markus? Alleine schon die Tatsache, dass eine Katharina bei euch weint, hätte euch stutzig machen sollen. Hat Katharina jemals zuvor vor euch geweint? Ich denke, sie ist eure Freundin, dann merkt man doch an ihrem untypischen Verhalten, dass etwas nicht stimmt und schlägt nicht einfach so die Trennung vor.“ Simon griff wütend nach seiner Jacke.
„Wo willst du denn jetzt hin?“
„Zu Markus, mit ihm reden. Und versuchen, in die Reihe zu bringen, was ihr verbockt habt“, sagte er wütend und knallte die Tür hinter sich zu.
– – –
Michi ließ das Handy sinken. Kurz überlegte er, ob es richtig gewesen war, nach seinem kurzen Gespräch mit Markus Simon anzurufen. Aber der Zweifel verflog direkt wieder. Er hatte so gehofft, dass sich die Wogen zwischen Markus und Katharina wieder glätten würden. Er hatte doch noch versucht, Markus zum Nachdenken über das Thema Kinder zu bewegen. Aber die letzten Monate waren für seine Freunde wohl einfach zu heftig gewesen. Der Weggang von Mia ins Internat nach Zürich zu ihrem leiblichen Vater war für die beiden Bergretter einfach schlimm und belastend. Wie sehr die Beiden ihre Tochter vermissten, war für alle ganz offensichtlich. Zu diesem Abschiedsschmerz kamen der Tod von Markus Mutter Johanna, der drohende Verlust ihres Zuhauses durch Katharinas Vater und letztlich auch noch der Weggang von Franz und später auch von Emilie. Und dann war da ja auch noch Dr. Aichstetter aufgeschlagen, der sich in Katharina verliebt hatte und sie mit seinen Kindern magisch anzog. Michi war sich sicher, dass Katharina kein Interesse an dem Arzt, sondern nur an seinen Kindern hatte, die sie ins Herz geschlossen hatte und gern hütete, wenn er Dienst hatte. Und diese Kinder erinnerten sie natürlich wieder ganz stark an ihren eigenen, tief gehegten Wunsch danach. Als Mia noch da war, war dieser Wunsch gar nicht mehr präsent, sie war einfach eine Mutter für Mia, aber nun kam er wieder ans Tageslicht. Verena hatte ihm erzählt, dass Markus Katharina nicht verstehen würde und er hatte daraufhin versucht, Markus zu erklären, was Verena ihm gesagt hatte, obwohl er es selbst nicht verstanden hatte. Aber das hatte natürlich nichts geholfen. Markus Stimme gerade klang so verzweifelt, er hatte ihn am Telefon kaum verstanden. Michi fühlte sich so hilflos. Er war so in seinen Gedanken versunken, dass er nicht hörte, wie Verena aus dem Schlafzimmer kam. Sie merkte sofort, dass etwas nicht stimmte.
„Michi?“, fragte sie verschlafen. „Ist was passiert?“
Er nickte. „Die Katharina hat gerade den Markus verlassen.“
„Dann hat sie es also endlich hinter sich gebracht“, sagte Verena leise.
„Endlich?“, fragte Michi. „So eine verdammte Scheiße. Wie kommt das Mädel denn nur darauf, sich jetzt zu trennen? Der Markus liebt sie mehr als alles andere auf der Welt.“
„Ja, schon, aber manchmal reicht Liebe alleine eben einfach nicht“, seufzte Verena.
„Warum gibt sie denn so leicht auf? Liebt sie denn den Markus nicht mehr, oder was?“ Michi sah Verena verständnislos an.
„Doch, natürlich liebt sie ihn. Sehr sogar. Markus ist ihre ganz große Liebe. Aber der Wunsch nach einem Kind ist so wahnsinnig groß gerade bei ihr. Sie leidet. Hast du sie dir mal angeschaut in der letzten Zeit? Das reinste Häufchen Elend.“
„Das hab ich gesehen, aber die Beiden hätten mal miteinander darüber sprechen können, Zefix nochmal, die sind doch erwachsen.“
„Sie hat es ja versucht, aber Markus hat eine Adoption so strikt abgelehnt, dass sie das Thema nicht mehr ansprechen wollte. Er hat ihr quasi gesagt, wenn sie ein Kind will, ist er nicht der richtige Mann für sie.“
„Spinnt der, oder was?“
Verena zog die Schultern hoch.
„Und darum ist sie abgehauen?“
„Welche Wahl hatte sie denn, Michi?“
„Denkt die jetzt, sie findet sofort jemanden wie Markus, der ihr direkt ein Kind macht, oder wie?“
„Ich weiß es nicht, aber die Trennung war richtig.“
„Nee, Spatzl, daran ist gar nix richtig. Der Markus und die Katharina, die gehören zusammen, verstehst?“
„Michi, normalerweise würde ich dir zustimmen, aber…“
„Was aber? Aufgeben, wenn’s schwierig wird? So ein Schmarrn. Habt’s ihr der Katharina etwa gestern Abend dazu geraten?“
„Natürlich.“
„Seid ihr eigentlich völlig bescheuert?“ Michi stapfte wütend in den Flur, zog seine Schuhe an und griff seine Jacke vom Haken.
„Was wird das jetzt? Wo willst du hin?“ Verena sah ihren Ehemann irritiert an.
„Ich muss zum Markus und mit ihm reden. Und du solltest schleunigst mit Katharina reden und diesen Blödsinn geraderücken.“
Verena hörte die Tür laut ins Schloss knallen und blieb alleine zurück. Hatten sie denn gestern Abend wirklich so falsch gelegen?
– – –
Fast zeitgleich erreichten Simon und Michi den Hof. Verdutzt sahen sich die beiden Bergretter an. „Was machst denn du hier?“, fragte Michi Simon überrascht.
„Wahrscheinlich dasselbe wie du. Nach Markus schauen.“
„Weißt du schon, was die Mädels gemacht haben?“, fragte Michi.
Simon nickte nur. „Unfassbar, oder? Wir müssen das wieder in die Reihe bringen, Michi!“
„Seh ich ganz genauso. Ich hab übrigens gerade auf dem Weg hierher den Tobias angerufen. Der kommt her.“
„Das ist gut.“
„Markus?“ riefen Michi und Simon gleichzeitig, als sie das kleine Haus betraten. Aber es kam keine Antwort. Sie stiegen die Stufen zum 1. Stock hinauf. „Markus“, rief Michi laut und öffnete die Tür zum Schlafzimmer. Markus hatte Katharinas Kopfkissen an sich gedrückt und weinte bitterlich. So bitterlich, dass es den beiden Bergrettern einen Stich ins Herz versetzte. Michi setzte sich zu ihm auf die Bettkante. „Hey, Markus“, sagte er ungewohnt sanft. „Das kriegen wir wieder hin.“
Markus drehte sich zu ihm herum. „Sie ist weg“, stammelte er. „Für immer.“ Wieder liefen die Tränen in Sturzbächen über sein Gesicht.
„Gib nicht so schnell auf, Markus“, sagte Simon leise. „Ich glaube, Katharina ist sich der Tragweite dieser Entscheidung gar nicht wirklich bewusst.“
„Das hörte sich vorhin anders an“, sagte er traurig.
„Weil sie verwirrt ist“, antwortete Simon.
„Nu komm, mach dich mal frisch, wir trinken jetzt gleich ein Bier zusammen und reden“, befahl Michi und erhob sich von der Bettkante. „Wir beziehen dir derweil das Bett neu, damit Katharinas Geruch da raus kommt.“
Wenig später saßen die drei Männer gemeinsam im kleinen Wohnzimmer auf dem Sofa und tranken ein Bier zusammen.
„Also, nu erzähl, was hat die Katharina dir gesagt?“, wollte Michi wissen.
„Dass sie mich liebt. Aber der Wunsch nach einem Kind einfach größer ist, als sie selbst dachte. Sie will eine eigene Familie.“
„Was ich dir gesagt hab, Spezi. Kinderwunsch ist wie an Durscht. Du musst trinken, sonst krepierst du.“ Michi sah seinen Freund streng von der Seite an.
„Ich versteh dein Problem mit einem Kind gar nicht, wenn ich ehrlich sein soll. Du hast doch mit Katharina eine tolle Frau an deiner Seite und mit deiner Tochter hast du doch auch alles richtig gemacht. Mia ist ein prima Mädchen.“ Simon versuchte, Markus irgendwie zu verstehen, aber es gelang ihm nicht.
Traurig sah Markus auf seine Hände hinab. „Das stimmt nicht, Simon. Ich hab mit Mia so viel falsch gemacht. Wenn ich ihr ein guter Vater gewesen wäre, dann wäre sie jetzt hier, bei Katharina und mir. Stattdessen ist sie in Zürich und kommt nicht mal zu Weihnachten hierhin. Katharina und ich wollten sie so oft besuchen, aber sie wollte uns nie da haben. Nicht ein einziges Mal hat sie uns erlaubt, zu ihr zu fahren. Anrufen tut sie auch nicht mal von selbst. Das spricht doch wohl nicht wirklich für meine tollen Vaterqualitäten oder?“
„So sind die Teenies aber. Oder glaubst du, meinen Leon seh ich mehr? Die haben doch ganz andere Interessen als ihre Eltern. Das heißt aber nicht gleich, dass wir schlechte Eltern sind. Verstehst?“
Eindringlich sah Simon Markus an. „Die Mia liebt dich. Und die Katharina. Ihr seid doch ihre Eltern. Aber der Michi hat Recht, wir waren als Teenies doch nicht anders.“
„Woher soll ich das wissen? Meine Jugend fand im Heim statt. Da war niemand, der mich hätte besuchen wollen.“
Michis Stimme wurde ein bisschen lauter. „Markus, du musst endlich damit aufhören alles auf deine Zeit im Heim zu schieben. Du bist ein erwachsener Mann. Du hast eine tolle, wunderschöne Frau, die dich so sehr liebt, dass sie sich mit dir ein Kind wünscht. Verstehst? MIT DIR! Das spricht doch dafür, dass sie dir die Vaterrolle zutraut, oder? Warum traust du sie dir denn selbst nicht zu? Stattdessen schickst du Depp diese tolle Frau quasi weg und sagst ihr, dass du nicht der richtige für sie bist. Also, wo liegt genau dein Problem?“
„Ich will einfach nicht noch ein Kind verlieren“, sagte Markus leise.
„Als die Katharina damals schwanger war, da hättest du sie doch auch mit dem Kind von diesem Thomas genommen, oder? Für das Kind hättest du doch auch die Vaterrolle übernommen.“ Simon versuchte weiterhin Markus irgendwie zu verstehen, aber es erschloss sich ihm immer noch nicht.
„Klar, das Kind wäre doch ein Teil von Katharina gewesen. Und niemand hätte es uns weggenommen, so wie jetzt die Mia. Die Mia ist weg, weil ihr Vater hier aufgeschlagen ist und ihr mehr bieten kann als wir mit unseren mickrigen Bergretter-Gehältern, mit denen wir gerade so über die Runden kommen.“ Markus nahm einen großen Schluck Bier aus der Flasche und klammerte sich regelrecht an ihr fest.
Michi rollte mit den Augen. „Wenn eine Adoption durch ist, dann kann euch keiner mehr ein Kind wegnehmen, du Depp. Dann seid ihr die rechtlichen Eltern. Und zwar für immer. Hast du eigentlich mal richtig mit der Katharina darüber gesprochen? Über deine Zweifel und Ängste?“
Markus schüttelte betreten den Kopf.
„Hätteste mal machen sollen. Verena hat mir nämlich vorhin erzählt, dass Katharina sich nach deiner strikten Ablehnung nicht mehr getraut hat, das Thema bei dir anzuschneiden.“
„Und darum haben unsere bekloppten Weiber ihr zur Trennung geraten“, vollendete Simon die Ausführung von Michi.
„Was?“ Markus sah die Beiden erschrocken an.
„Katharina muss beim Mädelsabend psychisch ziemlich zusammengebrochen sein“, erklärte Michi. „Woraufhin unsere beiden Ladys ihr gesagt haben, dass sie sich dringend trennen muss, wenn sie so unglücklich ist.“
Simon nickte. „Das hat Jessi mir auch erzählt. Du solltest morgen unbedingt nochmal mit Katharina reden.“
„Und dir überlegen, ob ein Kind mit dieser tollen Frau wirklich so schlimm für dich wäre. Meiner Meinung nach stehst du deinem Glück gerade selbst gewaltig im Weg, Herr Kofler.“ Michi gab Markus dabei einen leichten Klaps auf den Hinterkopf. „Erhöht das Denkvermögen“, grinste er frech.
– – –
Peter Herbrechter erschrak, als er seine Tochter am frühen Morgen an der Rezeption seines Hotels erblickte. „Hallo Katharina, hast du etwa die Nacht hier verbracht?“, fragte er seine Tochter, als er auf sie zukam. Ihre verweinten Augen nahm er direkt zur Kenntnis. Sie sah blass und schlecht aus.
„Wir haben uns getrennt“, sagte sie traurig.
„Das tut mir leid“, sagte ihr Vater und meinte es auch tatsächlich so.
„Das wolltest du doch immer“, sagte sie traurig und wurde von ihren Tränen überrollt.
Peter zog sie in seinen Arm. „Nein, Katharina, Du bist mein Kind und ich will nur, dass du glücklich bist.“
Katharina konnte nur noch weinen. Peter schob seine Tochter aus der Hotellobby in sein Büro, um sie vor den Blicken der Gäste zu schützen. Schluchzend erzählte Katharina ihrem Vater, was geschehen war. Aufmerksam hörte er ihr zu. Katharina so verzweifelt zu sehen, tat ihm in der Seele weh. „Mein Kind“, Peter strich ihr mit der Hand zärtlich über die Wange, „du liebst den Markus doch, oder?“
Katharina konnte nur nicken, da die Tränen sie wieder überrollten.
„Dann sprich doch bitte nochmal mit ihm. Ich kann mir keinen besseren Mann an deiner Seite vorstellen als den Markus. Ihr habt schon so viel zusammen durchgemacht. Ohne ihn wären wir beide und auch Tobias schon nicht mehr am Leben. Ich weiß, ich hab ihn dir oft madig gemacht und das tut mir leid. Dein Herz gehört offensichtlich wirklich ganz ihm. So wie meins seiner Mutter. Nur ich kann es ihr nicht mehr sagen. Gib deine große Liebe nicht auf Kind, sprecht und sucht eine gemeinsame Lösung. Geh zu ihm. Aber gebt euch nicht auf!“
—-
Markus war schon früh wach. Michi und Simon hatten bei ihm übernachtet, da sie einiges getrunken hatten, schliefen aber noch tief und fest. Das Gespräch mit den Beiden hatte ihm zwar sehr gut getan, aber sein Kummer hatte wieder Besitz von ihm ergriffen. Er wusste immer noch nicht, was richtig war und alle Selbstzweifel waren wieder präsent. Wütend hackte er die Holzscheite, die nur so über den Hof flogen. Und Markus war wütend. Sehr wütend. Auf sich. Auf Katharina. Auf die Mädels. Auf einfach alles. Wieder liefen Tränen über seine Wangen. In seinen Ohren rauschte es. Er hörte einen Wagen auf den Hof fahren, drehte sich aber nicht um. Eine ihm sehr bekannte Stimme hinter ihm ertönte „Der Michi hat mich angerufen und gemeint, du könntest einen Freund gebrauchen?“ Tobias Herbrechter sah den Bergretter fragend an und registrierte direkt, wie schlecht es ihm ging. Markus ließ sich in seine Arme fallen und weinte bitterlich.
Tobias bugsierte Markus zur Bank direkt vor dem kleinen Häuschen. „Da hat meine Schwester ja ganze Arbeit geleistet“, sagte er mit einem zornigen Unterton.
„Sie hat mir versprochen, mich nie zu verlassen, Tobias. Auch nicht für ein Kind. Und jetzt ist sie weg. Einfach weg. Weil ich ihr nicht das geben kann, was sie sich wünscht.“
„Also ihr Kinderwunsch ist schuld?“
„Nicht alleine. Wir haben es beide einfach verbockt. Sie ist fixiert auf ein Kind, ich will aber keins. Wobei mir die Jungs da gestern schon ordentlich ins Gewissen geredet haben. Und sie haben Recht, ich hätte mehr auf Katharina eingehen sollen. Ich hab ihren Wunsch nach Adoption halt strikt abgelehnt und ihr gesagt, dass ich der falsche Mann für sie bin. Ich habe gesehen, dass sie danach gelitten hat, Tobi. Und ich habe geschwiegen zum Thema Adoption, ich habe sie gehen lassen. Ich hab sie gehen lassen, weil ich ein Scheiß-Vater bin! Wäre ich ein guter, wäre die Mia wohl noch hier oder?”
“Markus, du warst der Mia ein guter Vater. Glaub mir das bitte. Oder frag die Mia doch selbst, was sie dazu sagt.”
“Die meldet sich doch gar nicht mehr, die kommt nicht mal an Weihnachten. Und weil die Mia weg ist, kommt Katharina jetzt mit dem Wunsch nach einem Kind. Sie wusste doch, ich kann keine zeugen.”
„Aber genau darum hat sie doch wohl die Adoption vorgeschlagen. Ich kann Katharina aber auch verstehen. Sie will ein Kind seit ich sie kenne. Katharina liebt eben Familie. Ich wollte ja auch immer ein Kind mit Emilie. Daran sind wir letzten Endes ja auch zerbrochen. Sie hat es genauso strikt abgelehnt wie du. Und es hat mich unendlich verletzt. Ich dachte, sie liebt mich nicht genug. Deine Aussage, dass Katharina gehen kann, wenn sie ein Kind will, muss ihr unendlich weh getan haben. Aber dass sie sich deswegen trennt, wo sie dich so liebt, ohne nochmal mit dir alles zu besprechen, das verstehe ich nicht. Hat sie denn gar nichts aus Emilie und mir gelernt? Sie hat doch mitbekommen, wie sehr ich gelitten habe.“
„Am schlimmsten ist, dass sie mich angelogen hat, als sie sagte, dass sie mich nicht aufgibt. Sie hat mich aber aufgegeben.“
„Du sie aber auch, mein Freund. Rede mit ihr und klärt das miteinander. Ich werde ihr auch nachher den Marsch blasen“, grinste Tobias.
„Aber selbst wenn wir es nochmal versuchen, wie sollte ich Katharina je wieder vertrauen können? Ist ja nicht das erste Mal, dass sie geht und mich zurücklässt. Ich kann ihr einfach nicht mehr vertrauen, Tobi. Woher soll ich wissen, dass sie nicht in ein paar Monaten oder Jahren wieder einen Anflug bekommt und ihre Brocken packt und abhaut?“
Katharina hatte ihr Fahrrad die letzten Meter zum Hof geschoben. Als sie das Auto ihres Bruders, das von Michi und das von Simon entdeckte blieb sie stehen. Sie lehnte das Rad seitlich an die Hauswand und konnte die Stimmen von Markus und Tobias wahrnehmen. Das, was sie hörte, reichte ihr. Markus Worte hallten in Katharinas Ohren nach. „Wie sollte ich Katharina je wieder vertrauen?… Ich kann ihr nicht mehr vertrauen.“ Es war also endgültig vorbei. Sie war so eine dumme Kuh. Warum hatte sie nicht auf ihr Herz gehört. Sie liebte Markus. Mehr als sie je einen Mann zuvor geliebt hatte. Wie dumm und naiv war sie gewesen zu glauben, sie könnte ohne ihn leben? Dieser gottverdammte Kinderwunsch, warum brachte der sie denn nur so derart aus dem Gleichgewicht, dass sie kein Gefühl mehr dafür hatte, was richtig und was falsch war? Markus hatte sie in den letzten Monaten ein paar Mal enttäuscht, was vielleicht zu ihrer Entscheidung beigetragen hatte. Dass er Mia weggehen ließ, ohne mit ihr darüber zu sprechen, hatte ihr das Herz gebrochen. Als er den Hof kaufte, ohne darüber mit ihr zu sprechen und sie in diese unsägliche Situation ihrem Vater gegenüber brachte. Er hatte seine eigenen Pläne für den Hof, mit ihr hatte er auch darüber nicht gesprochen. Oder als er sie mit der Beerdigung seiner Mutter allein ließ und stattdessen zum Einsatz abgerauscht war. Immer wieder schloss er sie einfach aus und machte sein eigenes Ding, als wäre sie kein Teil dieser kleinen Familie. Er tat sich einfach schwer, ihr seine Probleme anzuvertrauen und das verletzte sie einfach zutiefst. Fakt war, sie konnte nach dem Desaster nun nicht mehr mit Markus zusammenarbeiten. Das würde sie nicht überstehen. Sie liebte ihn einfach zu sehr und ihn täglich zu sehen, würde sie niemals darüber hinwegkommen lassen. Sie würde gleich zur Zentrale fahren und ihre Stelle bei der Bergrettung aufgeben. Es war das Beste, für sie alle. Katharina wischte die aufsteigenden Tränen mit dem Ärmel weg. Sie hatte ihr Leben zerstört. Zumindest empfand sie es gerade so. Unwiederbringlich hatte sie die Liebe ihres Lebens zutiefst verletzt und es gab kein Zurück mehr. Sie stieg wieder auf ihr Mountainbike und fuhr weg vom Hof, der noch bis gestern ihr Zuhause gewesen war. Gerade als Katharina auf die Hauptstraße bog, klingelte ihr Handy. Rudi. Sie hielt an und nahm das Gespräch entgegen.
„Hey Rudi“, begrüßte sie ihren Kollegen.
„Morgen Katharina. Wir haben einen Einsatz am Moorsee auf der Reiteralm. Eine vermisste 11/2-jährige.“
„Ich bin ganz in der Nähe, Rudi. Ich fahr da schon mal mit dem Lift rauf. Die Jungs sollen meine Ausrüstung mitbringen.“
„Alles klar. Bis später.“
Wenige Minuten später saß Katharina bereits im Lift hinauf. Der gefallene Schnee der letzten Tage war durch den Fön weggetaut und außer der präparierten Skipiste, waren die Wiesen zum größten Teil grün. Katharina war sowieso alles andere als in Weihnachtsstimmung und so war ihr dieser Umstand in diesem Jahr tatsächlich egal. Eigentlich fühlte sie sich gerade so schlecht, dass ihr alles egal war. Sie würde jetzt diesen letzten Einsatz professionell über die Bühne bringen und sich dann überlegen, die Ramsau zu verlassen. Wenn sie doch nur nicht auf Jessi und Verena gehört hätte. Wenn sie sich einfach selbst mehr Zeit gegeben hätte. Wenn sie doch nochmal mit Markus geredet hätte. Nicht nur über ein Kind, sondern auch darüber, was sie verletzt hatte. Die Selbstvorwürfe in ihrem Kopf wurden immer stärker und letzten Endes war sie froh, als sie den Lift verlassen konnte und zu den Eltern des Kindes aufsteigen konnte. Wenn sie sich auf den Einsatz konzentrierte, dann würden die Gedanken sicherlich aufhören.
Die Eltern der kleinen Luise kamen Katharina sehr seltsam vor, kalt und gefühllos. Und ihr kam es ebenfalls komisch vor, dass ein Kleinkind von 11/2 Jahren alleine in die Berge gelaufen sein sollte. Aus den Eltern der Kleinen bekam sie nicht viel Informationen heraus. Angeblich hatten sie die Nacht im Zelt am See verbracht und das Kind sei dabei ausgebüxt. Der Vater des Mädchens, der sich Katharina als ein Hubert Kofler vorstellte, schien sich nicht wirklich Sorgen um das Kind zu machen. Auch die Mutter, eine Henriette Kofler, wirkte erstaunlich ruhig. Katharina konnte das Verhalten nicht verstehen und beeilte sich, von diesem ihr sehr unangenehmen Paar wegzukommen, nachdem sie sie gebeten hatte, auf das restliche Team der Bergrettung zu warten.
Katharina gab kurz Rudi Bescheid, dass sie schon einmal mit der Suche beginnen würde. Es war kein anspruchsvolles Gebiet, so dass nichts dagegensprach. Sie folgte dem Weg weiter hinauf. Aber sie konnte sich nicht wirklich vorstellen, dass ein kleines Kind, das erst seit wenigen Monaten auf seinen kleinen Beinchen stand, alleine weit gekommen sein könnte. Dafür kam ihr auch weiterhin das Verhalten der Eltern komisch vor, weshalb sie den Verdacht hatte, dass das Kind nicht alleine weggelaufen war. Kurz überlegte sie, Markus anzurufen, aber sie verwarf den Gedanken wieder. Markus, da war er wieder. Wieder braute sich ein Kloß in ihrem Hals zusammen und Tränen füllten ihre Augen. Ihre Gedanken kreisten wieder um den gestrigen Tag. Und wieder hörte sie seine Worte, die ihr Herz in Stücke rissen „ich kann ihr nicht mehr vertrauen“.
Mittlerweile waren auch Michi und Simon angekommen und sprachen mit den Eltern. Markus hatten sie bewusst aus diesem Einsatz herausgehalten und ihm Urlaub verordnet. So konnte er etwas Zeit mit Tobias verbringen. Simon rief Katharina an, um sich ihren Standort geben zu lassen. Katharina war mittlerweile schon am Untersee angekommen und suchte dort die Gegend nach dem Kind ab. Bisher allerdings erfolglos, weshalb sie nun den Weg durch den Wald zurück hinunternahm.
Plötzlich hörte Katharina ein leises Weinen. Sie rief direkt Simon an, bevor sie dem Geräusch folgte und das kleine Mädchen schließlich wimmernd auf dem Waldboden fand. Katharina kniete sich neben das weinende Kind, dass von Hämatomen im Gesicht und an den kleinen Händen übersät war. Für Katharina passte das alles nicht zusammen. Luise konnte unmöglich alleine hierhergekommen sein, denn die Kleidung des Kindes war ganz sauber. Luise musste dort abgelegt worden sein, denn sie konnte an der Haltung der kleinen Beinchen sogar durch den Skianzug schon erkennen, dass diese gebrochen waren. Sie versuchte noch einmal Simon anzurufen, musste aber feststellen, dass sie dort keinen Empfang mehr hatte. Katharina steckte das Telefon zurück in ihre Jackentasche. Sie ärgerte sich kurz, nicht auf ihre Kollegen gewartet zu haben. Aber sie wollte momentan einfach nur allein sein und mit niemandem reden. Das hatte sie nun davon. Wieder hatte sie das Gefühl, momentan einfach nichts richtig zu machen. Vorsichtig nahm sie das kleine blonde Mädchen mit den großen braunen Kulleraugen auf den Arm, um mit ihr zurück zum Weg zu laufen, wo sie wieder Empfang hatte. Luise schlang ihre kleinen Ärmchen um Katharinas Hals und legte ihren Kopf an ihre Schulter. Das Schluchzen des Kindes wurde langsam weniger. Plötzlich bekam Katharina einen heftigen Schlag auf den Hinterkopf und ging zu Boden.
Simon und Michi suchten das Gebiet ab und versuchten immer wieder Katharina anzurufen. Aber sie erreichten stets nur ihre Mailbox. Ihre Suche legten sie auf das Gebiet fest, wo sie den letzten Anruf von Katharina bekommen hatten. Sie musste doch in diesem Gebiet sein.
Benommen öffnete Katharina die Augen. Ihr Kopf fühlte sich so unendlich schwer an. Sie versuchte zu erfassen, wo sie war, aber je angestrengter sie nachdachte, desto mehr breitete sich Übelkeit in ihr aus. Über ihr ragten Baumwipfel, direkt um sie herum Felsen und Erde. Ganz offenbar war sie in irgendeine Spalte gefallen. Katharina versuchte sich etwas zu bewegen, aber sie konnte nicht. Irgendetwas hielt sie fest. Sie versuchte mit der Hand an die Stelle zu fassen und erschrak bei dem, was sie fühlte. Da steckte ganz offenbar ein Ast in ihrem Rücken. Ihre Hand war blutverschmiert, als sie sie zurückzog. Katharinas Herzschlag setzte für einen Moment aus. Nun war es also soweit, sie würde alleine hier in den Bergen in diesem Loch sterben. Das war sie nun also, ihre Strafe für den Schmerz, den sie Markus zugefügt hatte. Für einen Moment stieg Panik in ihr auf. Sie dachte an Markus und Mia. Wie gerne wollte sie beiden noch sagen, wie sehr sie sie liebte. Aber sie traute sich nicht, Markus oder Mia anzurufen. Katharina versuchte ihr Handy aus der Jackentasche zu fischen, um sich wenigstens von ihrem Vater zu verabschieden. Mittlerweile dämmerte es bereits und Katharina schätzte es auf 16 Uhr. Sie musste ganz schön lange bewusstlos gewesen sein. Endlich hatte sie ihr Handy aus der Jackentasche befreit. Frustriert sah sie auf das Display. Kein Netz. Also versuchte sie eine SMS zu verfassen. Das hatte sie in ihrer Zeit als Bergretterin gelernt, dass SMS oft auch bei nicht vorhandenem Funknetz durchgingen, da diese sich automatisch versandten, sobald ein Hauch von Empfang vorhanden war.
Katharina hielt das Handy etwas hoch, in der Hoffnung, Empfang zu bekommen, um die Nachricht verschicken zu können. Sie wusste gar nicht, warum sie das tat, ihre Situation war doch ausweglos. Vielleicht hoffte etwas in ihr auf ein Wunder. Aber sie hatte alles zerstört mit ihrem Kinderwunsch. Kinderwunsch. Plötzlich erinnerte sie sich an die kleine Luise. Wo war das Kind? “Luise?”, fragte sie vorsichtig. “Schätzchen, wo bist du?” Katharina versuchte mit den Händen über den Boden neben sich zu fühlen. Sie verfluchte den Stock in ihrem Rücken, der sie daran hinderte, sich aufzurichten. Sie überlegte kurz, ob sie es riskieren sollte, ihn zu ziehen und direkt zu verbluten oder ob sie ausharren sollte, in der Hoffnung, dass sie vielleicht doch noch gefunden werden würde. Immerhin bestand noch die Chance, dass Simon und Michi nach ihr suchen würden. Katharina spürte einen, durch ihre leichte Bewegung entstandenen, unendlichen Schmerz und fiel erneut in eine tiefe Bewusstlosigkeit.
“Zefix, wo steckt die Katharina nur? Wir müssen normalerweise gleich abbrechen, gleich ist das Licht weg.” Michi schaute Simon verzweifelt an.
“Wir müssen sie einfach finden. Ihr muss etwas passiert sein, sonst würde sie sich melden oder wäre mittlerweile aufgetaucht.”
“Das seh ich genauso. Der Markus wird ganz durchdrehen, wenn ihr etwas passiert ist.”
Simon nickte seinem Kollegen beipflichtend zu. “Noch ist es nicht ganz dunkel, wir suchen weiter. Und dann müssen wir Markus und Tobias Bescheid sagen.”
– – –
Peter Herbrechter saß an seinem Schreibtisch. Er hatte schon nach seiner Tochter gesucht, aber von Rudi erfahren, dass sie mitten in einem Einsatz war. Nun wurde es bald dunkel und für gewöhnlich war seine Tochter dann aus den Bergen zurück. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, dass Katharina in ihrem seelischen Zustand in den Bergen herumkraxelte. Er dachte an ihr Gespräch. Am Morgen hatte sie so bitterlich geweint, als sie ihm von ihrer Trennung von Markus erzählte. Sie hatte tatsächlich geglaubt, dass er sich darüber freuen würde. Dass sie auf diese Idee kam, hatte er mitverschuldet, wenn er ehrlich zu sich selbst war. Er hatte sie immer wieder auf einen Enkel angesprochen, obwohl er wusste, dass Markus keine Kinder zeugen konnte. Immer wieder hatte er sie bei jeder Gelegenheit auf das Thema Kinder gestoßen, weil er gehofft hatte, dass seine Tochter mit Markus ein Baby adoptieren würde. Dass er damit dazu beitragen würde, dass seine Tochter einen Schritt ging, der ihm eindeutig missfiel, tat ihm im Nachhinein einfach nur weh. Die Trennung von Markus hatte er doch nie gewollt. Darum hatte er sie nach ihrem Gespräch zum Hof zu Markus geschickt, damit sie noch einmal mit ihm reden sollte. Seitdem hatte er aber nichts mehr gehört. Mittlerweile war es dunkel und er konnte weder Katharina, noch Markus auf dem Handy erreichen. Kurzentschlossen machte sich Katharinas Vater auf den Weg zum Hof.
– – –
Markus war gerade dabei wie ein Wahnsinniger Holz zu hacken, als der Wagen von Peter auf den Hof fuhr. Er war nassgeschwitzt und seine Augen waren rot und verquollen. Ein paar Haarsträhnen klebten in seinem Gesicht. Markus hatte nicht mit Peters Besuch gerechnet und schaute ihn fragend an. Peter musste schlucken, als er Markus sah. Seine Tochter hatte am Morgen genauso schlecht ausgesehen. Und er war sich sicher, dass die Dämmerung ihm nicht einmal alles zeigte.
“Hallo Markus”, sprach Peter leise.
Markus nickte ihm zu, ehe er ein “Hallo Peter” herauskrächzte. “Was ist mit Katharina?” Markus wusste einfach in diesem Moment, dass etwas passiert sein musste. Er hatte gegen Mittag schon einmal so ein ungutes Gefühl in der Magengegend verspürt und war davon aufgewacht, als er sich hingelegt hatte.
“Du weißt also auch nichts von ihr?”, fragte Peter und seine Augen blieben an seinen hängen.
“Ich habe sie seit gestern, seit… seit…” Markus stockte und die Tränen liefen nun über seine Wangen, “nicht mehr gesehen.”
Peter trat einen Schritt auf ihn zu und nahm ihn in die Arme.
Markus ließ es einfach geschehen und weinte bitterlich.
Katharinas Vater hielt ihn fest in seinen Armen und ließ ihn einfach weinen, bis er sich wieder etwas gefangen hatte.
“Katharina war also gar nicht bei dir?”, fragte er schließlich.
Markus schüttelte nur den Kopf.
“Ich habe heute Morgen mit ihr gesprochen und sie war so verzweifelt und hat ihren Entschluss so bitterlich bereut. Sie wollte hierher und nochmal mit dir sprechen. Und ihr Handy ist offenbar aus oder hat keinen Empfang.”
“Sie war nicht hier”, flüsterte Markus.
“Aber sie war doch mit auf dem Einsatz?”
“Ich denke ja, aber ich weiß nichts davon, Peter. Ich hab mir frei genommen und war den ganzen Tag hier. Tobias ist heute gekommen.”
Peters Handy piepte in seiner Jackentasche und lenkte den Blick beider Männer auf sich. Peter griff danach und schaute direkt auf das Display. “Von Katharina.” Beim Öffnen der Nachricht wich jegliche Farbe aus seinem Gesicht. Peter begann zu wanken und Markus konnte ihn gerade noch festhalten, bevor er zu Boden gegangen wäre. Markus brachte ihn rüber zur Bank, die vor dem Haupthaus an der Hauswand stand. Dann griff er nach Peters Handy, um Katharinas Nachricht zu lesen.
<Lieber Papa, wenn dich diese Nachricht erreicht, bin ich wahrscheinlich nicht mehr am Leben. Bitte sag Markus, wie sehr ich ihn liebe und dass ich so dumm war und es mir unendlich leidtut, was ich gestern getan habe. Ich hoffe, er kann mir eines Tages verzeihen. Und sag Mia, dass ich sie sehr liebe! Und dem Tobi. Ich liebe euch alle so sehr. Lebt wohl, K.>
Markus sackte mit dem Handy in der Hand auf die Bank und war unendlich froh, als Tobias aus dem Haupthaus kam.
“Markus, Papa, was ist passiert?” Tobias hatte direkt erfasst, dass etwas nicht in Ordnung war.
“Deine Schwester”, stammelte Peter.
Markus gab Tobias einfach nur das Handy in die Hand. Wieder liefen die Tränen nur so seine Wangen hinab.
“Scheiße”, flüsterte er. “Wir müssen sie suchen.”
Peter griff nach Markus Hand. „Markus, bitte finde meine Tochter.“
Markus nickte. „Und wenn es das letzte ist, was ich tue. Ich bringe sie nach Hause.“
– – –
Katharina hatte keine Ahnung, wie lange sie diesmal bewusstlos gewesen war. Draußen war es stockdunkel. Sie hörte ein leises Schluchzen und tastete mit der Hand neben sich. Ihr Handy hatte sie mit der rechten Hand bereits gefunden. Die kleine Luise konnte nicht weit von ihr entfernt sein, aber sobald sich Katharina in irgendeiner Weise bewegte, wurden die Schmerzen unerträglich. Plötzlich spürte sie zu ihrer Linken den kleinen Kinderkörper, der sich an sie herandrückte. Katharina streichelte so gut es ihr Zustand zuließ zärtlich über den Kopf der Kleinen, den sie ertastet hatte. “Hey, kleine Maus”, flüsterte sie und das Kind robbte noch näher heran, bis sie irgendwann in Katharinas Arm lag. “Du musst keine Angst haben. Ich passe auf dich auf.” Katharina versuchte dem Kind etwas Geborgenheit und Wärme zu geben, obwohl sie selbst unheimlich fror. Sie wagte einen Blick auf ihr Handy und öffnete den Chat mit ihrem Vater. Plötzlich huschte eine neue Nachricht auf ihr Display.
<Mein Kind, wo bist du nur? Markus und Tobias suchen dich. Kannst du uns sagen, wo du bist? Ich liebe dich, Papa.> Katharina traten die Tränen in die Augen. Markus suchte nach ihr. Obwohl sie ihm gestern noch so weh getan hatte.
<Ich weiß nicht. Ich habe einen Ast im Rücken. Papa, ich werde hier verbluten. Das vermisste Kind ist bei mir. Wir sind in einer Spalte, glaube ich.>
Katharina hörte den gleichmäßigen Atem der kleinen Luise. Offenbar war das Kind eingeschlafen. Sie öffnete nun das Chatfenster mit Markus. Was hatte sie schon zu verlieren?
<Markus?> tippte sie ein und drückte auf Senden. Wenn er darauf reagieren würde, würde sie versuchen, ihm zu antworten, wenn er sie ignorierte, würde sie es so hinnehmen. Sie schloss die Augen. Das Hämmern in ihrem Kopf wurde immer unerträglicher und auch der Schmerz um die Eintrittsstelle war einfach so gewaltig, dass sie wieder drohte bewusstlos zu werden. Kurz bevor sie erneut wegdriftete ertönte ihr Handy.
<Katharina? Wo bist du? Sag mir, wo du bist, bitte!>
“Markus”, flüsterte sie und wieder traten ihr Tränen in die Augen. Er suchte sie offenbar wirklich. Katharina sehnte sich gerade so sehr nach seinen Armen. Nach seinem Geruch. Nach seiner Stimme.
<Ich weiß nicht. Irgendeine Spalte oder Loch. Zuletzt war ich nördlich des Untersees, im Waldstück. Markus? Bitte verzeih mir.> Ihr Herz klopfte so heftig gegen ihre Brust. Für Markus wollte sie jetzt durchhalten. Sie musste einfach noch einmal in seine Augen sehen. Und sie musste ihm einfach noch einmal sagen, dass sie ihn liebte und sich entschuldigen. Mit den Gedanken bei Markus sackte Katharina wieder ins tiefe Schwarz.
– – –
“Markus?“ Simon traute seinen Augen nicht. “Wo kommt ihr denn her?” Er umarmte seinen Kollegen liebevoll.
“Rudi hat mir gesagt, wo wir euch finden. Peter hat mich informiert, dass Katharina verschwunden ist. Sie hat ihm eine Nachricht geschickt. Katharina muss nördlich des Untersees im Wald in einem Loch oder einer Spalte sein. Mit dem vermissten Kind. Und sie hat einen Ast im Rücken stecken. Ich hab die Verena schon angerufen.”
Michi drückte nun auch Markus an sich. “Hey Spezi. Wir werden sie finden.”
„Wir müssen sie finden“, sagte Tobias, als er Michi umarmte.
“Okay, dann lasst mal los. Wartet jemand hier auf Verena? Du, Michi?”, fragte Markus.
“Gebongt, ich bring sie dann zu euch, wenn ihr die Koordinaten habt.”
„Wo sind denn eigentlich die Eltern des Kindes?“, fragte Markus.
„Keine Ahnung, die wollten nicht mehr warten“, sagte Michi und die Verständnislosigkeit in seiner Stimme war nicht zu überhören.
„Dennis vom Lift hat gesagt, die Mutter ist keine Stunde später verschwunden, der Vater war zwischendurch weg, ehe er dann auch runtergefahren ist“, Simon schüttelte auch nur fassungslos mit dem Kopf.
„Die sind nicht ganz koscher, das sag ich dir“, sagte Michi eindringlich. „Die haben so viel Wärme für ihr Kind wie eine Tiefkühlpizza.“
Eng beieinander liefen die drei Bergretter mit ihren Lampen hinauf zum See. Immer wieder riefen sie nach Katharina. Markus versuchte es auch nochmal mit einer Nachricht, aber Katharina hörte das Handy nicht. Sie war zu tief in ihrer Bewusstlosigkeit. Die Kopfverletzung und die verlorene Menge an Blut war auch nicht unbeträchtlich.
Markus Gedanken überschlugen sich. Er wollte einfach nur noch Katharina finden. Und am liebsten die vergangenen 24 Stunden komplett ausradieren. Wenn sie nun sterben würde, ohne, dass sie sich ausgesprochen hatten? Markus Herz zog sich unweigerlich zusammen. Sie durfte nicht sterben. Und sie mussten reden und ihre Beziehung retten. So konnte und durfte es nicht enden. Dafür liebten sie sich doch beide viel zu sehr. Sie mussten es einfach zusammen schaffen.
Markus Handy riss ihn aus seinen Gedanken. Peter. Markus nahm das Gespräch entgegen.
„Hallo Markus, gibt es schon was Neues? Habt ihr sie gefunden?“
„Nein, noch nicht. Wir sagen dir sofort Bescheid.“
„Okay, Danke. Ich hatte gehofft, ihr habt etwas, weil die Eltern der kleinen Luise, die sitzen hier gemütlich beim Abendessen als wäre nichts passiert.“
„Unglaublich. Nein, wir haben weder das Kind, noch Katharina bisher gefunden. Hat sie dir nochmal was geschrieben?“
„Nein“, seufzte Peter.
„Okay, wenn von ihr eine weitere Nachricht durchkommt, sag mir bitte Bescheid oder dem Tobi.“
Markus, Tobias und Simon riefen so laut nach Katharina, wie sie konnten. Im Dunkel der Nacht glich die Suche nach der Bergretterin der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen. Aber weder Simon noch Markus oder Tobias waren bereit, diese Suche auch nur für eine Minute aufzugeben.
Katharina ging es derweil immer schlechter. Mit letzter Kraft tippte sie ein <kann nicht mehr> an Markus in ihr Handy.
Als die Nachricht ihren Empfänger erreichte, bildete sich erneut ein Kloß in seinem Hals. Markus reichte sein Handy an Tobias weiter, nicht fähig auch nur ein Wort zu sagen.
“Wir finden sie, Markus”, versuchte Tobias seinen Freund zu beruhigen, obwohl er selbst eine Heidenangst um seine Schwester hatte. “Schreib ihr, dass sie nicht aufgeben darf.”
<Nicht aufgeben, Katharina, wir finden dich. Bitte, nicht aufgeben!!!>
Markus war so in seinen Gedanken gefangen, dass er den Funkspruch von Rudi an Simon gar nicht mitbekam.
„Der Rudi konnte ihr Handy orten, sie muss gerade kurz Empfang gehabt haben“, rief Simon aufgeregt. “Kommt!”
Beim Laufen berichtete Simon, dass der RK2 bereits von Rudi angefordert worden war und samt Spezialtrage auf dem Weg von Reutte zu ihnen war. Verena war ebenfalls schon auf dem Weg mit Michi. Michi schwor sich, den alten Herbrechter jetzt zu einem Nachtsichtgerät für seine Mühle zu nötigen, denn er fühlte sich gerade alles andere als gut dabei, dass nicht er Katharina ins Krankenhaus fliegen konnte, sondern dafür Leute über 350 km herfliegen mussten, weil in der Nähe gerade kein Heli mit Nachtsichtgerät verfügbar war.
Der Weg zu den genannten Koordinaten erschien allen Beteiligten schier endlos, denn sie war definitiv nicht mehr dort, wo sie sich zuletzt gemeldet hatte und alle nach ihr gesucht hatten. Die wertvolle Zeit rann dahin.
Katharina drückte ihr Handy an sich, die andere Hand lag auf dem Kleinkind. „Markus“, flüsterte sie, „verzeih mir, ich kann nicht mehr.“ erschöpft schloss sie ihre Augen.
„Hier muss es sein.“ Simon leuchtete den Wald so gut wie möglich aus.
„Da vorne. Da könnte ein Loch sein.“ Markus leuchtete in die Richtung, in der er sie vermutete. „Katharina?“, rief er laut.
Katharina hörte Markus nach ihr rufen. Sie war unendlich froh, dass er gleich bei ihr sein würde. Wenn sie jetzt abtreten müsste, wäre er bei ihr, sie wäre nicht alleine. „Markus?“, versuchte sie mit letzter Kraft zu rufen.
„Katharina?“ Der Schein seiner Taschenlampe streifte ihr Gesicht und der Schmerz, den das Licht in ihren Augen verursachte, schoss wie ein Blitz durch ihren Kopf.
„Katharina! Hier ist sie! Tobi, Simon, ich hab sie! Ich bin gleich bei dir, Katharina.“ Markus Stimme überschlug sich beinahe vor lauter Aufregung.
Simon und Tobias halfen Markus dabei, sich schnellstens in das Loch zu seiner Freundin abzuseilen.
„Katharina, ich bin gleich bei dir. Halt durch, bitte!“ Markus Herz schlug ihm bis zum Hals, als er neben ihr zu Boden sank. Er griff nach ihrer eiskalten Hand und küsste sie ganz vorsichtig auf den Mund.
„Markus“, mehr kam nicht über ihre Lippen. Sie wollte so viel sagen, aber sie war zu schwach dazu.
„Bleib bei mir“, sagte er mit tränenerstickter Stimme. „Du musst durchhalten, hörst du? Verena ist gleich hier. Und dann schneiden wir dich los und fliegen dich ins Krankenhaus.“
Simon ließ Tobias nun ebenfalls in das Loch hinab.
“Hey Schwesterchen, was machst du denn für Sachen?” Tobi kniete nun neben Markus und strich seiner Schwester über die kalte Wange.
„Tobi“, flüsterte sie leise.
Markus bemerkte das kleine Mädchen in Katharinas Arm und nahm sie ihr ab, woraufhin die Kleine sofort zu weinen begann. „Weißt du, was sie für Verletzungen hat?“, fragte er Katharina.
„Brüche, Beine“, flüsterte sie.
„Markus, Verena ist hier, ich lass sie runter“, rief Simon von oben.
“Ich nehme Verena an”, rief Tobias.
Markus machte ein wenig Platz für die Ärztin, damit sie Katharina versorgen konnte. Tobias nahm ihm das Kind ab und hielt es nun in seinen Armen. Als Simon mit der Säge hinunterkletterte, brachte er eine Decke für die Kleine mit.
„Hey Katharina“, sprach Verena leise ihre Freundin an und fühlte ihren Puls.
„Ich werde sterben“, flüsterte Katharina.
Markus Magen krampfte sich bei ihren Worten schmerzhaft zusammen.
„Nein, das schaffst du, Katharina, du bekommst jetzt erstmal Blut und eine Infusion, damit wir dich stabilisieren und gleich fliegen wir dich nach Schladming.“ Verena versuchte Katharina soweit zu stabilisieren, bevor Markus, Tobias und Simon sie mit der Säge vom Rest des Baumstammes lösen würden und kümmerte sich um das kleine Mädchen, das nicht so schwer verletzt war wie Katharina. Simon brachte die Kleine daraufhin hinauf zu Michi.
„Markus?“, flüsterte Katharina schwach, die genau wusste, wie kompliziert es sein konnte, aufgespießte Personen zu lösen. Sie hatten es schon bei Einsätzen erlebt. Und nicht immer hatten die Verletzten überlebt.
„Ja?“ Vorsichtig strich er über ihre Wange.
„Bleibst du bei mir?“, fragte sie unsicher.
Markus konnte ihre Angst deutlich spüren, dazu kannte er sie einfach zu gut. „Natürlich. Glaubst du, ich lass dich jetzt alleine? Nicht jetzt und auch nicht später.“
Markus, Tobias und Verena stützten Katharina, während Simon vorsichtig den Ast absägte. Verena hatte Katharina zuvor ein starkes Schmerzmittel verabreicht. Markus hielt vorsichtig Katharinas Kopf und bemerkte dabei die große Wunde an ihrem Hinterkopf. Sie brachten Katharina in die stabile Seitenlage und Verena sah auf die Wunde. „Sieht aus, als hätte ihr jemand eins übergebraten“, sagte sie leise zu Markus. Das kann sie nicht von dem Sturz haben. Der Waldboden hier ist viel zu weich.“
„Du meinst, sie hat jemand niedergeschlagen und dann hier runter geworfen?“, fragte Markus.
„Meiner Meinung nach ja“, nickte Verena. „Das werden wir gleich erstmal nähen müssen, sie hat sicherlich eine starke Gehirnerschütterung.“
Markus streichelte zärtlich über Katharinas Wange und er spürte, wie sie sich seiner Hand entgegendrückte und seine Berührung brauchte.
„Alles wird gut, Katharina“, sprach er leise, hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn und streichelte sie sanft während sie alle zusammen auf die Rettungskräfte des RK2 warteten.
—-
Als der RK2 mit Katharina, Markus, Verena und Luise in Richtung Schladming abhob, war Katharina wieder leicht weggetreten.
„Verena? Wird sie sterben?“
„Ich weiß es nicht, Markus. Ich kann dir nur sagen, dass ich alles für sie tun werde.“
„Der Peter, wir müssen den Peter anrufen.“
„Michi hat ihn schon angerufen. Der kommt zum Krankenhaus.“
Katharina blinzelte leicht und registrierte, dass Markus ihre Hand hielt und neben ihr saß.
„Du bist da“, nuschelte sie.
„Ich bleibe auch da. Ich verspreche es dir.“
„Es tut mir so leid“, sagte sie leise.
„Ich weiß doch. Mir tut es doch auch leid. Spar jetzt deine Kräfte.“ Er drückte dabei ihre Hand.
„Ich liebe dich, Markus.“
„Und ich liebe dich. Wir schaffen das. Du musst jetzt erst gesund werden und dann lösen wir unsere Probleme, und zwar gemeinsam.“
Als der Heli in Schladming landete ging alles ganz schnell. Katharina kam direkt in den Schockraum und von da sofort weiter in den OP. Markus saß im Wartebereich. Seine Beine gehorchten ihm nicht mehr, er war fertig mit der Welt. Die letzten Stunden brachen über ihn herein, wie ein Gewitterregen. Er bekam gar nicht mit, wie sich Peter neben ihn setzte. Schweigend saßen die Beiden nebeneinander, bis Peter die Stille brach. „Danke, Markus.“
Markus lächelte leicht.
„Du bist der richtige Mann für meine Katharina. Du und niemand anders.“
Während Katharina im OP lag, wurde die kleine Luise von Nick Aichstetter eingehend versorgt. Mit Schrecken stellte der Arzt fest, dass die vielen Verletzungen der Kleinen zum Teil schon Tage und Wochen alt waren. Es war eindeutig, dass das Kind misshandelt wurde. Und das wohl regelmäßig. Nick rief Markus zu sich ins Behandlungszimmer, um ihm davon zu erzählen.
„Du kennst doch diese Polizistin, Markus. Kannst du die vielleicht herbitten? Dieses Kind darf keinesfalls zurück zu seinen Eltern.“ Markus sah auf das Mädchen, dass ihm seine Ärmchen entgegenstreckte.
„Ich glaube, Luise mag dich, Markus. Vielleicht kannst du sie ablenken, wenn sie gleich eingegipst wird?“
„Na klar, aber erst rufe ich Jessi an. Die Eltern kamen den anderen eh schon komisch vor und Verena meinte schon, dass der Sturz von Katharina kein Unfall gewesen sein könnte.“
Markus blieb dabei, während der Kleinen die Beine eingipst wurden. Ihre kleinen Hände bekamen einen Verband. Für Dr. Aichstetter war es ein klares Zeichen, dass das Kind des Öfteren Schläge auf die Hände bekommen haben musste. Markus tat das Kind in der Seele leid. Die Kleine lachte ihn immer wieder an und streckte ihre Arme nach ihm aus. Das Kind lenkte ihn ein wenig von der Sorge um Katharina ab. Und während ihn das kleine Mädchen so freundlich anlächelte, begann er an Katharinas Wunsch zu denken. Wie hatte sie gestrahlt, als sie die kleine Ida auf der Berghütte gefunden hatten und sie das Kind ein wenig umsorgen durfte. Oder wie sie immer gestrahlt hatte, wenn sie Lissy und Sam hütete. „Woran denkst du, Markus?“, fragte Nick, dem die Abwesenheit aufgefallen war. „Da bekommt man Lust auf Kinder, oder?“
Markus schluckte.
„Katharina wäre eine wundervolle Mutter, das kann ich dir sagen.“
„Bestimmt“, flüsterte Markus.
Wieder lächelte Luise ihn an, als wollte sie zustimmen.
„Aber wenn ich kein guter Vater wäre?“, fragte er leise.
Erstaunt sah Nick ihn an. „Wie kommst du denn auf den Unsinn?“
„Ich hatte nie eine Familie.“
„Na und? Ich vorher auch nicht. Und als meine Frau bei der Geburt von Sam starb, war ich alleine mit zwei Kindern. Und ich hab das auch geschafft. Du hast Katharina an deiner Seite. Um die ich dich übrigens sehr beneide, weil sie eine tolle Frau ist, die ich sofort nehmen würde. Aber die liebt ja leider nur dich“, seufzte er.
„Ich kann aber keine Kinder zeugen“, gab Markus leise zu.
„Dann adoptiert. Dies Kind hier wär doch bei euch zum Beispiel viel besser aufgehoben als bei seinen Eltern.“
„Aber so einfach ist das doch nicht.“
„Dass es einfach wird, hat auch niemand gesagt. Aber wir kennen hier alle die Frau Schneider vom Amt. Sprecht mit ihr, stellt einen Antrag. Die ist wirklich nett und vor allem vermittelt sie gut. Ich werde sie nachher eh anrufen müssen wegen Luise. Dann fühl ich ihr mal auf den Zahn.“
„Danke dir.“ Markus wurde warm ums Herz. Das kleine Mädchen vor ihm war dabei sein Herz zu erobern. Plötzlich war Adoption für ihn nicht mehr abwegig. Er dachte an Katharina und ihren Herzenswunsch. Und daran, wie schrecklich seine eigene Zeit im Heim gewesen war. Bei Katharina wäre so ein Kind in den allerbesten Händen. Katharina. Hoffentlich lief alles gut.
„Du machst dir Sorgen um Katharina, oder?“
„Ja, ich will das OP-Ende nicht verpassen. Aber irgendwie will ich auch die Maus hier nicht alleine lassen.“
„Dann nimm sie mit. Sie bekommt jetzt ein fahrbares Bettchen und wenn Katharina mag, kann die Kleine ein wenig bei ihr bleiben. Ich komme dann mit Frau Schneider zu euch.“
„Danke dir.“
Tobias, Simon, Michi und Rudi waren mittlerweile im Krankenhaus angekommen und saßen neben Peter. Verwundert sahen sie Markus an, als er mit dem kleinen Krankenhausbettchen angeschoben kam und eine kleine Luise auf dem Arm trug. Markus nahm neben seinen Freunden Platz.
„Was wird’n das?“, fragte Tobias.
„Vielleicht der Anfang von etwas großem“, grinste Markus. „Diese junge Dame hier hat mir gezeigt, dass ich mir doch ein Kind mit Katharina vorstellen kann. Und wenn Katharina das noch möchte, dann stelle ich gleich morgen mit ihr den Antrag.“
Peter strahlte über beide Ohren. „Das wär so schön, Markus. Ich möchte so gern noch ein Enkelkind.“
Markus drückte die kleine Luise an sich. „Am liebsten würde ich die kleine Maus hierbehalten, aber das wird wohl nicht so einfach gehen. Ihre Eltern haben sie offensichtlich misshandelt. Die Kleine hat ganz viele alte Verletzungen. Sowas darf man doch keinem wehrlosen Kind antun.“ Er seufzte tief.
„Die Jessi ist übrigens noch mit der Spurensicherung oben auf dem Berg. Die kommt danach hierher“, brachte Simon Markus auf den neuesten Stand.
Markus schaute sehnsüchtig auf die Tür zum OP-Bereich. „Wie lange das wohl noch dauert?“
„Na ja, sowas kann dauern“, sagte Michi. „Das muss nicht zwingend was schlechtes bedeuten.“
Luise kuschelte sich in Markus Arm und schloss die Augen. Kurz darauf war sie eingeschlafen. Sein Blick haftete auf dem kleinen Mädchen. Markus verstand nicht, was mit ihm geschah, aber das kleine hilflose Kind in seinem Arm brachte wirklich etwas in ihm zutage. Die Kleine machte die Wartezeit erträglicher. Seine Gedanken wanderten zu Mia. Wie sie wohl als Baby so gewesen war? Er kannte zwar Fotos, aber er wusste nicht, wie sie schrie oder wie sie als Baby lächelte, nach Gegenständen griff oder ihre ersten Schritte gemacht hatte. Plötzlich war er traurig darüber, das alles nicht erlebt zu haben. Und plötzlich dachte er daran, wie schön es wäre, das alles mit Katharina gemeinsam erleben zu können. Katharina… mittlerweile waren mehr als drei Stunden vergangen. Wie auf Kommando öffnete sich die Tür und Verena kam auf ihre Freunde zu.
„Das hätte ich mir ja denken können: alle da!“, grinste Verena.
„Was ist mit Katharina?“, fragte Tobi und sprang vom Stuhl.
„Katharina lebt. Sie hat uns ein bisschen Ärger bereitet während der OP, wir mussten sie zwei Mal zurückholen, aber: der Ast ist raus, ihre Milz und ihre Niere konnten wir erhalten und ihren Magen haben wir auch geflickt. Ihre Kopfwunde haben wir auch schon genäht. Sie hat eine ordentliche Gehirnerschütterung. Wir bringen sie gleich rüber auf die Intensivstation. Sie hatte verdammtes Glück, wir hätten sie nicht später operieren dürfen, dann hätte sie es wohl nicht geschafft. Das gerade war schon arg knapp.“
„Dürfen wir zu ihr?“, fragte Markus.
Verena nickte. „Aber nicht alle auf einmal.“
„Der Markus geht“, sagte Peter und nahm ihm vorsichtig das Kind ab.
Markus schaute zu Tobias, der ihm zunickte. „Danke“, sagte er und erhob sich von seinem Stuhl.
„Ich denke, die Entscheidung ist die Richtige“, sagte die Ärztin. „Dann komm mal mit, ich mach dich hübsch. Und Markus, das ist die Intensivstation, also: nicht mit Straßenklamotten zu ihr ins Bett. Küssen, streicheln, Händchen halten ist erlaubt“, grinste Verena.
„Okay, Chef.“ Markus folgte ihr zur Intensivstation. Vor der Tür hielt er inne. „Verena? Schafft sie es?“
„Ich denke schon. Alle Blutungen sind gestoppt.“
„Aber sie musste reanimiert werden?“
„Ja, zwei Mal ist sie uns weggesackt. Aber jetzt schlägt ihr Herz wieder ganz regelmäßig und kräftig.“
Markus seufzte tief und schlüpfte in den blauen Kittel. „Wann wird sie aufwachen?“
„Ich denke, das dauert nicht mehr lange. Und sie wird froh sein, wenn du bei ihr bist. Markus, es tut mir leid, dass ich ihr den Rat zur Trennung gegeben habe. Das war einfach total dumm, ich hätte als ihre Freundin sehen müssen, dass sie ohne dich nicht glücklich sein kann.“
„Schon okay, Verena. Vielleicht haben wir das Beide gebraucht, um wieder klar zu sehen. Die letzten Wochen waren so extrem bei uns, dass wir uns irgendwie verloren haben. Aber ich weiß eins: ich kann und will ohne sie nicht leben. Sie ist das Wichtigste in meinem Leben zusammen mit Mia. Ich will sie nicht nochmal verlieren.“
„Sag ihr das“, lächelte Verena. „Hier, im Aufwachraum liegt sie.“ Verena öffnete die Tür und schob Markus hinein.
Markus hielt einen Moment inne, als er seine Katharina in dem Bett liegen sah. Sie war leichenblass und unzählige Kabel verliefen von ihr zu diversen Apparaten neben ihrem Bett. Markus hatte keine Ahnung, was das alles war, aber er wusste, ein monotones Piepen war gut und kein Grund zur Besorgnis. Langsam schritt er auf das Bett zu und griff nach ihrer Hand, die immer noch eiskalt war. Eine goldene Locke hatte sich in ihr Gesicht verirrt, die Markus zärtlich zur Seite strich. Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn und setzte sich neben sie. Leise begann er mit ihr zu sprechen. „Hey, was machst du nur für Sachen? Du musst schnell gesund werden, hörst du? Ich brauch dich doch. Und die Mia auch.“
Markus saß nun schon eine halbe Stunde an ihrem Bett. Aber Katharina war noch nicht aufgewacht. Verena schaute durch die Tür. „Schläft sie immer noch?“
Markus nickte nur.
Verena trat ein und warf einen Blick auf ihre Freundin. Markus rutschte nervös auf dem Stuhl herum. „Alles gut, Markus, sie ist okay. Sie wird schon aufwachen.“
„Und wenn nicht?“
„Sie wird. Das war eine sehr schwere OP für sie und sie hat eine mächtige Gehirnerschütterung, vergiss das nicht. Ihr wird auch sicherlich schlecht sein beim Aufwachen. Dann klingel bitte sofort, dann bekommt sie eine Infusion.“
„Sagst du den anderen Bescheid? Die warten doch alle auf Nachricht.“
Verena nickte und verließ das Zimmer. Markus streichelte wieder sanft über ihren Handrücken und hielt dabei ihre Hand fest in seinen Händen. Die Warterei kam ihm schier unendlich vor. Eine weitere halbe Stunde zog ins Land, bis Markus bemerkte, dass sich Katharinas Atmung veränderte. Sie war dabei aufzuwachen. „Katharina“, flüsterte er.
„Markus?“, fragte sie leise und blinzelte.
„Ich bin hier.“ Er drückte dabei ihre Hand.
„Du bist wirklich da.“ Ihre Stimme klang noch sehr krächzend und leise.
„Na klar, ich hab dir doch versprochen, nicht weg zu gehen. Und draußen sitzen noch ein paar Leute mehr. Dein Vater, Tobi, Michi, Simon und die kleine Luise. Und die Verena natürlich, die hat dich ja operiert.“
„Wie geht’s Luise?“, wollte Katharina wissen.
„Nick hat sie versorgt. Ihre Beine sind gebrochen. Ich bring sie dir später rein, wenn du magst.“
„Mhm.“ Katharina schloss die Augen.
„Ist dir schlecht?“, fragte Markus.
„Mhm. Und Kopfschmerzen.“
„Verena sagt, dann soll ich klingeln.“ Markus drückte die Klingel und blitzartig stand Verena im Raum.
„Hey Katharina, da bist du ja endlich wieder. Wie geht’s dir?“
„Mir ist so schlecht. Und mein Kopf.“
„Ich geb dir jetzt was, dann geht es dir gleich besser.“
„Danke“, antwortete Katharina und schloss ihre Augen.
„Schlaf, ich pass auf dich auf“, sagte Markus liebevoll.
Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht und sie nahm ihre Hand, die Markus hielt, hoch an ihre Wange und kuschelte sich dann an Markus Hand. Katharinas Atem ging gleichmäßig und sie war eingeschlafen. Markus spürte ebenfalls die Müdigkeit in seinen Knochen. Kurz wollte er die Augen schließen und schlief dann selbst mit dem Kopf auf ihrem Bett ein. Auch auf dem Flur waren die Freunde auf ihren Stühlen eingeschlafen. Verena musste bei dem Anblick grinsen, ehe sie Michi aufweckte. „Geht nach Hause“, sagte seine Frau, „sie ist aus der Narkose aufgewacht und schläft jetzt. Ihre Werte sind alle okay. Ich passe auf sie auf. Und der Markus auch.“
Katharina hatte bis zum Morgen durchgeschlafen und war gerührt, als sie Markus entdeckte, der immer noch ihre Hand festhielt und mit dem Kopf auf ihrem Bett schlief. Er war wirklich nicht von ihrer Seite gewichen, genau wie er es ihr versprochen hatte. Katharina fühlte sich leicht benebelt als sie versuchte, sich im Zimmer umzusehen. Neben der anderen Seite ihres Bettes stand ein Kinderbett. Sie erkannte die kleine Luise, die tief und fest schlief, und ein Lächeln lag auf ihrem Gesicht. Markus begann sich neben ihr zu rekeln. Vorsichtig legte sie ihre Hand auf seinen Kopf und wuschelte durch sein Haar.
„Hey“, grinste er. „Dornröschen ist ja wach.“
„Der holde Prinz hat mich offensichtlich wachgeküsst. Aber ich hab es wohl verpasst.“
Markus beugte sich über sie, nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie auf den Mund. „Jetzt hat der Prinz die Prinzessin wachgeküsst“, grinste er. „Wie fühlst du dich?“
„Schon etwas besser als letzte Nacht. Danke, dass du bei mir geblieben bist.“
„Ich habe das ernst gemeint, dass ich bei dir bleibe. Wir dürfen uns nicht aufgeben, wir müssen miteinander reden. Es sei denn, du liebst mich nicht mehr.“
„Ich werde niemals aufhören dich zu lieben“, gestand Katharina.
„Und du könntest dir auch immer noch vorstellen, ein Kind mit mir aufzuziehen?“
Sie nickte leicht.
„Dann stellen wir heute noch den Antrag.“
Verwirrt sah sie ihn an. Markus beschloss ihr zu erzählen, was er in der Nacht gefühlt hatte.
„Als dieses kleine hilflose Wesen mich so angelacht hat, obwohl sie Schmerzen und Angst haben musste, da wurde mir klar, wie anders Kinder die Welt wahrnehmen. Und dass sie bedingungslos lieben können. Und dann war ich plötzlich traurig, dass ich nicht weiß, wie die Mia als Baby war. Wie sie gelächelt hat oder ihre ersten Schritte gemacht hat. Oder sie ihr erstes Wort gesagt hat. Vielleicht hätte sie ja zuerst Papa gesagt? Und dann dachte ich plötzlich daran, wie es sein könnte, sowas mit dir zusammen zu erleben. Da wurde es ganz warm und kribbelig in mir. Angst habe ich zwar immer noch, ein schlechter Vater zu sein, aber, und das haben die Jungs und Nick mir eingetrichtert, ich bin ja nicht allein. Du bist bei mir. Und mit dir zusammen schaffe ich alles.“
Liebevoll sah Katharina ihn an. „Wow“, flüsterte sie. „Aber…“, sie stockte, „du hast auf dem Hof gesagt, dass du mir nicht mehr vertrauen kannst.“ Katharina schloss die Augen, sie konnte Markus gerade nicht ansehen.
„Woher weißt du das?“, fragte er überrascht.
„Weil ich da war. Ich wollte nochmal mit dir reden.“
„Ja, das habe ich gesagt. Ich habe nämlich eine Scheiß-Angst, dass du wieder deine Brocken packst und einfach abhaust, wenn es schwierig wird und mich wieder alleine lässt.“ Markus Augen wurden feucht.
„Das habe ich nicht vor. Aber du musst auch ehrlich zu mir sein. Schließ mich nicht immer aus. Du hast mich unendlich damit verletzt. Als du Mia hast gehen lassen, ohne auch nur einmal mit mir darüber zu reden. Oder als du den Hof gekauft hast, ohne mal mit mir zu sprechen und mich dann noch meinen Papa hast anlügen lassen. Du hast den Hof quasi verplant, ohne mich irgendwie einzubeziehen. Du hast mir das Gefühl gegeben, kein Teil von dir, von unserer Familie zu sein. Alles schien wichtiger zu sein als ich.“ Katharina hatte Tränen in den Augen.
„Warum hast du nie was gesagt?“ Markus drückte ihre Hand.
„Weil ich dachte, du merkst es vielleicht von selbst. Weil ich dachte, das wär nur ein Rückfall in alte Zeiten. Und weil ich dir nicht noch mehr Probleme aufhalsen wollte, denn davon hattest du genug in letzter Zeit.“
„Und dann hab ich dir auch noch in Sachen Adoption so vor den Kopf gestoßen.“
„Mhm. Du hast mir gesagt, dass du nicht der richtige Mann für mich wärst, wenn ich ein Kind will. Du hast mich quasi weggeschickt. Einfach so. Kind oder du. Auch das tat mir so unendlich weh und hat mir das Herz gebrochen. Aber egal wie weh du mir getan hast, ich habe nie aufgehört, dich zu lieben. Und es tut mir leid, dass ich nicht mit dir darüber gesprochen habe. Ich hätte es dir sagen sollen, statt so gemein zu dir zu sein und dann einfach abzuhauen. Das war nicht fair von mir und tut mir schrecklich leid. Dabei wollte ich dich doch heiraten. Hättest Du mich im Sommer gefragt, als du mir meinen Anhänger geschenkt hast, ich hätte ja gesagt Erst nach der Sache mit der Adoption habe ich regelrechte Panik bekommen.“
„Wir müssen wirklich lernen, immer miteinander zu sprechen. Katharina, das müssen wir uns jetzt und hier fest versprechen. Ich will dich nicht nochmal verlieren.“
„Ich dich doch auch nicht. Was hältst Du von der festen Regel: jeden Abend vorm Zubettgehen mindestens eine halbe Stunde zum Reden einzuplanen?“
„Das machen wir. Und wenn einer von uns in alte Muster verfällt, erinnern wir uns gegenseitig an diesen Moment hier.“
Markus erhob sich von seinem Stuhl, legte beide Hände um ihre Wangen, beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie sanft.
„Kann ich dann jetzt deine Sachen wieder nach Hause holen?“, fragte er schelmisch. „Es ist da so verdammt einsam ohne dich.“
„Du warst eine einzige Nacht ohne mich zuhause.“
„Eine Nacht zu viel.“
Katharina musste lachen und wurde direkt mit einem Ziehen im Kopf bestraft.
„Alles okay?“, fragte Markus besorgt.
„Mhm, nur Kopfschmerzen. Hol meine Sachen nach Hause. Wenn ich hier raus komme, will ich in meinem Bett schlafen, bei meinem Mann.“
„Genau da, wo du hingehörst, wo dein Zuhause ist. Und dann entscheiden wir gemeinsam, was auf unserem Hof passiert, okay?“
„Abgemacht“, lächelte sie.
„Oh, schau mal, Luise ist wach. Ich hol sie mal zu uns rüber, okay?“
Luise streckte direkt ihre Ärmchen nach ihm aus und lächelte ihn wieder an. Markus nahm sie hoch und ging mit ihr zu Katharina herüber.
„Du machst das gut“, lobte sie Markus. Nicht, weil sie ihn damit zur Adoption drängen wollte, sondern weil er es wirklich gut machte. Markus hielt das Kind auf seinem Schoß und Katharina nahm vorsichtig die kleinen Finger und streichelte sie sanft.
Luise begann unruhig zu werden. Sie schien zu Katharina zu wollen.
„Meinst du, das geht?“, fragte er unsicher und deutete auf ihr Bett. „Mir hat Verena verboten in dein Bett zu klettern, aber von Luise hat sie nichts gesagt.“ Markus grinste sie schelmisch an.
Katharina musste lachen. Ihre Freundin kannte Markus einfach zu gut. „Das geht bestimmt. Aber ich kann nicht zur Seite rücken gerade.“
Markus legte die Kleine in Katharinas Arm. „Passt auch so perfekt“, grinste er.
Katharina lächelte Markus zu. „Und du willst das wirklich? Wenn du nur mir zuliebe einer Adoption zustimmen würdest, dann wäre das der falsche Beweggrund.“
„Ich weiß. Darum hatte ich ja so vehement abgelehnt, weil ich es nicht wollte. Aber dieses Kind hat irgendwas in mir bewegt. Vielleicht auch die Gespräche mit den Jungs über das Thema.“
„Glaub mir, du bist ein guter Vater. Das mit Mia hast du so super hinbekommen. Zweifle nicht immer so an dir.“
„Ich hab ja dich an meiner Seite. Zusammen packen wir das. Am liebsten würde ich die Kleine hier behalten. Wenn ich an ihre schrecklichen Eltern denke…“
Weder Katharina, noch Markus hatten bemerkt, dass Nick mit Frau Schneider vom Jugendamt den Raum betreten hatte.
„Hallo ihr drei“, grüßte Nick.
„Oh, hallo“, entgegnete Markus.
„Hey“, kam es auch von Katharina.
„Wie geht’s dir, Katharina?“, fragte Nick.
„Besser als letzte Nacht“, lächelte sie. „Bisschen müde, Verena hat mir garantiert voll die Schmerzmitteldröhnung verpasst.“
„Davon kannst du ausgehen. Ich hab schon gehört, dass du letzte Nacht bei der OP alle hier auf Trab gehalten hast. Ich bin froh, dass es dir schon besser geht.“
„Danke“, erwiderte sie lächelnd.
„Ich hab euch hier die Frau Schneider vom Jugendamt mitgebracht, wenn ihr es mit einer Adoption wirklich ernst meint, redet mit ihr. Ich lass euch mal alleine.“
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Jessi hatte die Eltern der kleinen Luise tatsächlich schon am gleichen Morgen dingfest gemacht. Nicht nur wegen Kindesmisshandlung, sondern auch wegen versuchten Mordes an Katharina. Sie brauchte nicht lange, um herauszufinden, dass die kleine Luise von ihren Eltern nicht gewünscht war und sie schon des öfteren wegen Kindesmisshandlung auffällig geworden waren. Sie passte einfach nicht in deren Karriereplanung. Nachdem sie das Kind wieder geschlagen hatten und die Hämatome der Kleinen im Hotel erste Gäste aufmerksam gemacht hatten, wollten sie das Kind nun offiziell durch einen Unfall in den Bergen los werden. Sie hatten sofort gemerkt, dass Katharina ihnen ihre Geschichte vom Zelten am See nicht abnahm. Der Vater des Kindes folgte Katharina daraufhin heimlich. Er wollte verhindern, dass sie seine Pläne durchkreuzte. Darum schlug er sie schlussendlich nieder und schleifte sie samt der kleinen Luise durch den Wald, bis er die Felsspalte fand und sie kurzerhand hineinwarf. Er war sich so sicher, dass niemand die Beiden dort finden würde. Und wenn doch, konnte er immer noch versuchen alles auf die Bergretterin abzuwälzen und ihr Kindesentführung anzuhängen. Jessi hatte die beiden Eltern allerdings so in die Mangel genommen, dass sie alles gestanden. Sie legte ihnen nahe, endlich das Richtige für ihr Kind zu tun und es in gute Hände abzugeben.
Nach 12 Tagen und pünktlich zu Weihnachten erlaubte Verena, dass Markus Katharina mit nach Hause nehmen durfte. Allerdings nur unter der Voraussetzung der absoluten Schonung und Verena wollte jeden zweiten Tag zur Versorgung der Wunde an Katharinas Rücken vorbei kommen. Katharina freute sich wahnsinnig auf zuhause, gleichzeitig würde es aber auch Abschied von der kleinen Luise bedeuten, die die ganze Zeit bei Katharina im Zimmer gewesen war und für die es nun heute in eine Pflegefamilie gehen sollte, bis die Eltern eine Entscheidung getroffen hatten, was mit dem Kind geschehen sollte. Besucht hatten sie das Mädchen nicht ein einziges Mal. Markus hatte Katharina beim Anziehen geholfen, denn sie konnte sich nur schwerlich bewegen und war nun auf der Suche nach Verena wegen eines Rollstuhls für Katharina. Katharina saß mit Luise auf ihrem Bett und spielte mit ihr mit einem kleinen Teddy, den Markus ihr gekauft hatte. Das Herz war ihr so schwer bei dem Gedanken, die Kleine gleich zurücklassen zu müssen. Sie machte noch schnell ein Foto mit ihrem Handy von Luise. Vergessen wollte sie das Kind nämlich niemals. Da kam auch schon Markus in Begleitung von Verena mit einem Rollstuhl für seine Freundin zurück. „Bist Du bereit?“, fragte er sie. Katharina nickte.
„Ich hab dich lieb, Luise“, sagte Katharina leise und drückte sie an sich. „Mama“, sagte das Mädchen daraufhin und Katharina kamen unweigerlich die Tränen. Auch Markus musste schlucken. „Ich hab dich auch lieb, Schätzchen“, sagte er zu dem Kind und drückte sie ebenfalls. „Sei tapfer, wir werden dich nicht vergessen. Und wir werden alles versuchen, damit du zu uns kommen darfst.“ Verena hatte auch schon feuchte Augen bekommen. Dass es emotional werden würde, hatte sie erwartet. Aber das jetzt tat auch ihr einfach weh.
Markus half Katharina in den Rollstuhl, während Verena sich zu dem Kind setzte. „Ich komm morgen bei euch vorbei“, sagte Verena. Katharina konnte nur nicken, zu groß war der Kloß in ihrem Hals. Sie hatten noch nicht die Tür erreicht, da weinte Luise so laut los. „Mama, Papa“, schluchzte sie herzzerreißend. Verena versuchte sie zu beruhigen, aber erfolglos. Katharina wusste nicht, was sie tun sollte. Den Raum verlassen, um Distanz zu schaffen oder zurück zu der Kleinen. „Mama“, rief das Kind wieder völlig verzweifelt. Katharina drehte ihren Rollstuhl und Markus schob sie zurück zum Bett. Verena gab Katharina das Kind in die Arme. „Schatz, ich muss gehen“, sprach Katharina leise zu der Kleinen. „Ich hab dich sehr, sehr lieb. Sei tapfer, ich werde dich niemals vergessen.“ Katharina wollte das Kind an Verena zurück geben, aber sogleich weinte Luise wieder und schrie sich beinahe weg. „Ich gebe ihr gleich was zur Beruhigung“, sagte Verena. „Geht am besten jetzt ganz schnell.“
Schnellen Schrittes und mit Tränen in den Augen schob Markus Katharina über den Flur. Am Ende des Flures hielt er an und kniete sich vor Katharina. Er zog sie in seine Arme und beide hielten sich einfach nur fest. Markus hatte sein Gesicht in ihren Haaren vergraben. “Das ist es, was mir so Angst macht”, nuschelte Markus leise und klammerte sich regelrecht an sie. “Man fängt an ein Kind zu lieben und dann wird es einem wieder weggenommen.” Katharina strich ihm über die Haare. “Die Kleine tut mir so leid”, schluchzte sie. “Hoffentlich kann Frau Schneider was für uns erreichen.” Aus verweinten Augen sah Katharina Markus an.
“Ich hoffe es. Komm, ich muss hier raus”, sagte er und küsste ihre Wange.
Die Fahrt zum Hof verbrachten beide schweigend. Immer wieder griff Markus nach Katharinas Hand. Dass Markus die Trennung von Luise so schwer nahm, überraschte Katharina ein wenig. Bisher war es immer sie, die sich an Kinder geklammert und ihr Herz daran verloren hatte. Doch nun war es Markus, der genau so litt wie sie. Als sie auf den Hof fuhren staunte Katharina nicht schlecht. “Du hast ja doch einen neuen Baum geholt?”
„Ja, der andere ist jetzt neben unserem Häuschen eingepflanzt.“
Markus stellte den Motor aus und Katharina wollte sich gerade los schnallen. „Warte, bleib sitzen.“ Er machte einen Satz aus dem Auto und kam zu ihr herum. „Du musst vorsichtig sein.“
„Öhm, ich weiß? Ich Ärztin?“ Katharina schmunzelte ihn frech an.
„Frechdachs. Und jetzt bring ich dich direkt ins Bett. Du sollst dich ausruhen.“
„Widerstand ist zwecklos oder?“
„Japp, komm her.“ Markus half Katharina aus dem Auto und brachte sie ins Haus. Ihr langsamer Gang bestätigte Markus in seiner Annahme, dass sie Schmerzen haben musste und noch lange nicht fit war.
In der Küche brauchte Katharina eine Pause. Markus setzte sie auf einen Stuhl an den Esstisch und brachte ihr erst einmal ein Glas Wasser und kochte einen Tee.
„Markus?“
„Ja?“
„Danke!“
„Nicht dafür.“ Er stellte die dampfende Tasse Tee vor sie. „Italienische Limone, magst du doch so gern.“
„Danke. Was Luise wohl macht? Ich fühl mich wie eine Verräterin, dass wir sie allein gelassen haben.“
„Wir durften nicht bei ihr bleiben bzw. sie ja nicht bei uns. So weh es uns tut, sie ist nicht unser Kind.“ Wehmut schwang in seiner Stimme mit. „Vielleicht wird sie es auch nie.“
Katharina legte ihre Hand auf seine und sah ihn traurig an. „Wir geben nicht auf. Solange es eine Chance gibt, dass sie bei uns leben kann, werden wir um sie kämpfen.“
Markus konnte nur nicken. Er brauchte einen Moment, bis er sich erhob.
„Und jetzt ab ins Bett mit dir.“
Markus half ihr auf und begleitete sie hoch. „Deinen Tee hol ich später nach.“
Vorsichtig setzte sich Katharina aufs Bett und sog die Luft ein.
„Alles okay?“, fragte Markus besorgt.
„Bisschen Schmerzen“, war die ehrliche Antwort.
„Dann hinlegen.“
„Darf ich mich vorher vielleicht noch umziehen?“
„Nö. Was willst du denn anziehen?“
„Meine Jogginghose und meine blaue Kapuzenjacke.“
„Kommt.“ Markus griff zielsicher in den Schrank und wedelte mit den Sachen vor ihrer Nase herum.
„Du hast ja alles schon wieder eingeräumt?“
„Klar, es gab mir das Gefühl, dass du hier bist, bei mir.“ Vorsichtig half er Katharina beim Umziehen.
„Ich gehe nicht mehr weg“, sagte Katharina plötzlich. „Nie wieder.“
„Das darfst du auch nicht.“ Markus lehnte seine Stirn an ihre, bevor er sie küsste. „Ich brauch dich so sehr.“
Nachdem Markus Katharina in eine halbwegs angenehme und schmerzfreie Liegeposition geholfen hatte und ihr den Tee ans Bett gestellt hatte, kuschelte er sich hinter sie. Er brauchte einfach ihre Nähe, ihre Wärme und ihren Geruch, um wirklich zu bergreifen, dass sie da war. Er hatte sie so vermisst, die Nächte waren so einsam ohne sie. Auch Katharina genoss die Nähe zu Markus und fühlte sich wohl behütet. Es dauert nicht lange und sie war eingeschlafen.
Am Nachmittag erkundigte sich Markus bei Verena nach Luise. Was sie erzählte stimmte ihn traurig und er überlegte, ob er Katharina überhaupt davon erzählen sollte. Aber dann dachte er an ihr Versprechen: keine Geheimnisse mehr.
Während sie immer noch schlief, schlich Markus rüber ins Haupthaus und kam mit einem Topf wieder heraus. Er stellte ihn auf den Herd und begann den Tisch zu decken. Er wusste, dass Katharina nicht im Bett essen wollen würde. Er kochte auch einen neuen Tee für sie und war so vertieft, dass er gar nicht merkte, dass sie in der Tür stand und ihn beobachtete.
„Hey, du bist ja wach“, rief er freudig, als er sie erblickte.
„Ich glaube schon, ja. Was machst du da?“
„Was zu essen. Komm, setz dich.“
Er füllte die Suppe auf ihren Teller und reichte ihn ihr.
„Das riecht herrlich. Wie die Suppe von Emilie.“ Katharina seufzte. Sie vermisste ihre Freundin so sehr. „Und sie schmeckt auch wie die Suppe von Emilie. Markus? Ist die Emilie hier?“
Markus druckste ein wenig herum. „Iss jetzt erst mal“, versuchte er abzulenken. Katharina sah ihn forschend an, beschloss aber, ihn für den Moment nicht weiter auszuquetschen, sondern lieber erst zu essen.
Katharina schmeckte es richtig gut. So viel besser als das Essen im Krankenhaus. Auch wenn sie noch nicht viel runter bekam und nur weiche Sachen essen durfte, aber das würde alles wiederkommen, wenn ihr Magen geheilt war.
Im Wohnzimmer brannte bereits der Kamin und Katharina wurde von Markus aufs Sofa verfrachtet, während er den Abwasch erledigte.
„Du, Markus? Könntest du mir vielleicht ein Kissen aus dem Bett holen?“, bat sie ihn, als er das Wohnzimmer betrat. Er flitzte direkt los und packte das Kissen auch sofort in ihren Rücken. Als sie eine angenehme Position gefunden hatte, legte er die Kuscheldecke über sie, weil er gesehen hatte, dass sie trotz des Kaminfeuers fröstelte. Markus setzte sich zu ihr auf das Sofa und legte ihre Beine auf seinen Schoß. „Schau mal, es schneit“, grinste er.
„Pünktlich zu Weihnachten. Was machen wir eigentlich morgen? Wir haben noch gar nicht über Heiligabend gesprochen.“
„Du ruhst dich aus und später gehen wir rüber ins Haupthaus. Tobias und dein Vater kommen. Das war mir lieber als im Hotel zu feiern. Vor allem kannst du dich jederzeit hinlegen.“
„Gute Idee. Du, dein Geschenk liegt in meinem Auto. Und mein Auto steht in der Hotelgarage. Meinst du, du könntest es für mich holen? Ich möchte morgen nicht ohne Geschenk für dich sein“, traurig sah Katharina auf ihre Hände.
„Du bist wirklich noch nicht wieder fit“, grinste Markus.
Fragend schaute Katharina ihn an.
„Dein Auto steht doch schon draußen auf dem Hof. Das haben Tobi und ich mit deinen Sachen zurückgebracht.“
„Ihr seid die Besten.“
„Ich weiß“, grinste er.
Katharina gähnte leicht.
„Müde?“
„Bisschen. Die Nebenwirkungen von den Tabletten.“
„Komm, leg dich richtig hier hin, dann kannst du schlafen.“
Katharina legte sich mühevoll seitlich auf das Sofa. Markus merkte, dass sie starke Schmerzen hatte. Wirklich wundern tat ihn das nicht. Sie hatte die tiefe Wunde am Rücken und die Naht der OP auf ihrem Oberkörper. Auch in ihrem Inneren ziepte es. Markus sah, wie schwer ihr es fiel und legte ihr Kissen auf seinen Schoß. „Versuch es mal so.“
Katharina kuschelte sich nun mit dem Kopf auf seinen Schoß. Markus strich ihr zärtlich über ihr Haar.
„Hast du schon was von Verena gehört wegen Luise?“ Ein tiefer Seufzer entwich seiner Kehle. „Ich habe sie angerufen und die Kleine hat stundenlang nur geschrien und geweint. Verena hat sie ein wenig mit dem Kuscheltier von uns beruhigen können. Gegessen hat sie wohl überhaupt nicht und Verena wollte Frau Schneider anrufen.“
„Der arme kleine Wurm.“ In Katharinas Hals hatte sich ein Kloß gebildet. „Es wär so schön, wenn sie bei uns sein dürfte.“
Markus spielte gedankenverloren mit einer Locke von Katharina.
„Mhm“, nickte er. “Katharina?”
“Ja?”
“Versprich mir bitte, nie mehr wegzugehen. Bitte rede mit mir, wenn ich dir weh tu, ja?”
Katharina drehte sich mühevoll um, damit sie ihn anschauen konnte. Sie spürte die Angst und Verunsicherung in seiner Stimme. “Ich verspreche es. Zukünftig diskutieren wir alles aus, ich werde nicht mehr vor meinen Problemen und damit vor dir weglaufen. Aber für dich gilt das gleiche. Rede mit mir und schließ mich nicht mehr aus.”
Über Nacht hatte es eine ordentliche Portion Neuschnee gegeben. Verena kam am Morgen, um nach Katharinas Wunde zu sehen. Natürlich erkundigte sich Katharina nach Luise.
„Ich würde dir gerne was besseres erzählen, aber das Kind hat den ganzen Tag über geweint und nichts gegessen, bis sie völlig erschöpft eingeschlafen ist. Frau Schneider habe ich auch schon gesagt, wie sehr die Kleine an euch hängt. Sie gibt das Kuscheltier von euch keine Sekunde aus der Hand.“
„Markus und ich haben auch unsere Herzen an die Maus verloren. Sie fehlt uns. Wir würden sie so gern bei uns haben und adoptieren.“
„Nick und ich haben uns auch schon dafür ausgesprochen. Er ist übrigens heute zu ihren Eltern gefahren, um mit ihnen zu sprechen. Die sollten endlich mal entscheiden, was mit dem Kind passieren soll.“
„Markus hat auch schon die ersten Dokumente bei Frau Schneider eingereicht. Unsere polizeilichen Führungszeugnisse hat Jessi auf dem kleinen Dienstweg besorgt.“
„Ich drücke euch so die Daumen, dass ihr die Kleine bekommen werdet.“
„Ich mach mir da echt Sorgen um Markus. Wenn das nicht klappt… Der leidet da gerade so wahnsinnig drunter.“
„Das ist mir auch schon aufgefallen. Er hat sich echt in das Kind verliebt.“
„Mhm. Sie hat einfach alles verändert.“ Katharina brauchte einen Moment, ehe sie fragte: „Wie sind denn die Pflegeeltern?“
„Ganz nett. Aber bei euch würde ich sie lieber sehen, weil es sie verstört, hin und hergereicht zu werden.“
„Wenn wir doch nur etwas tun könnten, aber wir sind einfach so machtlos.“
„Ich weiß“, seufzte Verena. „Was macht ihr denn heute Abend?“
„Mein Vater kommt und wir feiern mit ihm und Tobi. Und ihr?“
„Wir feiern auch gemütlich, Michi und ich. Ruh dich aber unbedingt noch vorher aus, ja?“
„Du klingst schon wie der Markus“, grinste Katharina.
„Da geb ich dem Markus auch mal Recht. Du bist noch nicht gesund und das weißt du selbst. Das muss erstmal alles heilen.“
„Ich weiß doch, ich bin brav“, lächelte Katharina.
„Na also. So, ich muss los. Ich wünsch euch viel Spaß heute Abend.“
„Ich euch auch.“ Vorsichtig umarmte Verena ihre Freundin und verabschiedete sich bei Markus, der in der Küche das Frühstück zubereitete.
Nach dem gemeinsamen Frühstück zwang Markus Katharina zu einer Auszeit auf dem Sofa. Die Tabletten machten sie ohnehin müde und so ließ sie sich widerstandslos von Markus zudecken. Markus blieb bei ihr, bis sie eingeschlafen war. Dann erhob er sich leise und verschwand im Haupthaus. Schließlich war Heiligabend und er hatte noch ein wenig vorzubereiten.
Am frühen Abend telefonierten sie mit Mia, die Weihnachten mit Lorenz in den Rocky Mountains verbachte. Ihre Tochter erzählte wie ein Wasserfall und alles sprudelte nur so aus ihr heraus. Sie schien tolle Ferien zu verbringen. Mit etwas Wehmut dachten Beide daran, dass sie dieses Jahr das erste Mal Weihnachten ohne sie feiern würden.
Danach half Markus Katharina dabei, die Haare zu waschen und sich anzuziehen. Sie entschied sich der Bequemlichkeit halber für eine Leggins und ihren neuen Longpullover aus weicher Wolle. Markus spürte, wie groß ihre Schmerzen im Rücken waren und gab ihr noch eine Schmerztablette, die sie dankend annahm und herunterspülte, während sie Markus beim Anziehen beobachtete. „Tu das nicht“, sagte sie leise.
Überrascht und mit Fragezeichen im Gesicht sah er sie an. „Was denn?“
„Du siehst darin so verdammt sexy aus“, nuschelte sie.
Markus musste lachen. „Ach? Tu ich das?“
„Mhm. Das ist Folter, weil du mich verrückt machst, wenn du dein schwarzes Hemd trägst. Und wir müssen noch mindestens vier Wochen warten, wenn nicht noch länger“, seufzte sie. Markus ließ sich neben sie auf das Bett sinken. „So lange?“
„Mhm, so lange.“
Vorsichtig zog er sie in seinen Arm. „Lieber warte ich wochenlang darauf, statt ohne dich leben zu müssen. Ich bin so froh, dass du noch da bist, dass du noch bei mir bist.“
„Ich auch“, flüsterte sie.
„Aber kuscheln können wir doch.“ Er küsste sie zärtlich auf das noch feuchte Haar. Ein Grinsen huschte über ihr Gesicht.
„Ganz viel sogar.“
„Na also.“ Schnell zog er sich sein Hemd über und Katharina erhob sich mühevoll vom Bett.
„Ich glaube, das hier ist ein kleiner Vorgeschmack aufs Alter“, witzelte sie.
„Im Alter bau ich dir einen Treppenlift, versprochen.“
„Oder einen Lastenkran.“ Katharina verschwand im Bad und machte sich ein wenig frisch für den heiligen Abend. Leichtes Make up, etwas Parfüm und sie föhnte schnell ihre Locken trocken. Das liebte Markus an ihr. Seine Freundin war einfach so ein natürlicher Mensch, kam immer mit wenig aus und sah dabei immer umwerfend aus. Für ihn war sie die schönste Frau der ganzen Welt. Katharina ging es mit Markus nicht anders. Sie liebte genau dasselbe an ihm. Markus war eben einfach bodenständig und natürlich und auch für sie der schönste Mann der Welt.
Als sie aus dem Bad kam, hatte Markus schon ihre Moonboots und ihre Jacke geholt und wartete nur noch auf sie.
„Wow“, entfuhr es ihm. Katharinas Wangen nahmen eine leichte Röte an. „Du wirst ja rot“, grinste er sie frech an.
„Ich? Das bildeste dir jetzt aber ein.“
„Auf keinen Fall. Du bist rot geworden“, neckte er sie und hielt ihr ihre Jacke hin.
„Du träumst.“
„Nur von dir“, legte er noch eins drauf.
„Ja ja“, entgegnete sie augenrollend und flutschte in ihre Schuhe. Markus stellte sich vor sie und küsste sie innig und leidenschaftlich.
„Wow“, entgegnete nun Katharina atemlos. „Was war das?“
„Ein Vorschuss. Wer weiß, wie lange ich warten muss, bis ich dich wieder so küssen kann. Vor deinem Vater sicher nicht.“
„So ein Quatsch. Der beißt dich nicht.“
„Darauf möchte ich es lieber nicht ankommen lassen“, lachte er und nahm Katharinas Hand, um mit ihr hinunter zu gehen.
Markus trat zuerst einen Schritt hinaus in den Schnee. Er hielt Katharina immer noch an der Hand fest. Draußen erstrahlte der große Weihnachtsbaum mit unzähligen kleinen Lichtern. „Der ist so wunderschön, Markus“, sprach sie leise. Markus stand hinter ihr und umarmte sie von hinten. Seinen Kopf legte er auf ihrem Haar ab. „Gefällt er dir?“
„Mhm, der ist Wahnsinn.“ Katharina lächelte und legte ihre Hände auf seine. „Danke.“ Einen Moment genossen die Beiden die Ruhe, als sich plötzlich das Scheunentor öffnete und ihre Freunde herausstürmten und dabei laut Überraschung riefen. Überrascht sahen sich Katharina und Markus an. Lissy und Sam, die Kinder von Nick schossen auf Katharina zu. „Katharina, Katharina“, riefen die Beiden ganz aufgeregt. „Hey, ihr zwei.“ Katharina war in die Knie gegangen, um die beiden Kinder umarmen zu können. Die Beiden waren auch sehr vorsichtig mit ihr, da Nick seinen Kindern erklärt hatte, dass Katharina einen Unfall gehabt hatte. Markus zog sie vorsichtig wieder hoch und hielt sie gut fest. „Wo kommt ihr denn alle her?“, fragte Markus gerührt.
„Wir fanden, dass wir dieses Jahr alle zusammen feiern müssen, als das, was wir sind“, sagte Tobias.
„Eine große Familie“, grinste Emilie und nahm Katharina in den Arm.
„Eine sehr große Familie“, ertönte Franz Stimme hinter ihr.
„Emilie, Franz“, schluchzte sie. Sie drückte Emilie fest an sich. „Ich hab dich so vermisst.“
„Hey, ich bin hier und ich bleibe jetzt auch hier.“
„Echt?“ Katharina und Emilie lagen sich lange in den Armen.
„Der Markus hat mich nach Hause geholt, ich bin seine Weihnachtsüberraschung für dich“, erklärte sie ihr. „Hier gehör ich hin und hier bleibe ich jetzt auch.“
„Dann hast du doch die Suppe für mich gekocht“, lachte Katharina nun los. „Ich hab es doch gewusst.“
„Ich konnte doch nix sagen, dann wär die Überraschung heute dahin gewesen“, sagte Markus kleinlaut.
Katharina küsste ihn daraufhin. „Danke, Schatz.“
Auf dem Hof hatten sich wirklich sämtliche Freunde versammelt: Tobias, Emilie, Franz, Peter, Michi, Simon, Rudi, Nick und seine Kinder. Jessi und Verena fehlten noch, aber die würden gleich kommen, sagte Michi. Tobias verteilte Glühwein und Kinderpunsch an die Anwesenden und gemeinsam standen alle um den großen Baum herum. Lissy und Sam waren kaum von Katharina zu trennen. Markus ließ seine Freundin nicht aus den Augen und war fasziniert, wie sehr die Kinder auf Katharina fixiert waren. Zuerst hatte er Sorge, dass Katharina etwas mit Nick anfangen würde, der sichtlich verliebt in sie war, aber sie hatte wirklich nur Augen für seine Kinder, die seine Freundin offensichtlich wirklich sehr lieb gewonnen hatten.
„Wo bleibt denn die Verena?“, fragte Markus Michi bei einem Blick auf die Uhr.
„Da kommt sie“, Michi deutete auf den Kombi hin, der gerade an der Hofeinfahrt parkte. „Geh mal bitte hin zu ihr und Jessi, Markus.“
Markus schaute noch einmal nach Katharina, die gerade mit Emilie, Nick und den Kindern zusammen stand, ehe er zu den beiden herüber ging.
„Hey ihr Beiden“, begrüßte er die neuen Gäste.
„Hey“, grüßte Jessi. „Markus, wir haben da was.“
„Etwas, das dich und Katharina so sehr vermisst.“ Verena öffnete die Autotür. „Und das Etwas hat vor lauter Kummer hohes Fieber bekommen, so dass wir aktiv werden mussten.“
Markus traute seinen Augen nicht. „Luise“, flüsterte er.
„Die Eltern haben ihr Einverständnis gegeben, dass sie adoptiert werden darf und ebenfalls, dass sie bei euch bleiben soll. Jessi und Nick haben da ein wenig nachgeholfen.“
„Ihr werdet jetzt für ein Jahr ihre Pflegefamilie und dann kann gerichtlich eine Adoption erfolgen“, erklärte Jessi. „Frau Schneider haben wir überzeugt, die kommt am 27. bei euch vorbei. Die Sachen der Kleinen sind im Kofferraum.“
„Aber man kann sie uns jederzeit wegnehmen oder?“ Markus war unsicher, so groß war die Angst, wieder ein Kind zu verlieren.
„Markus, ich versteh deine Sorgen“, sprach Verena, „aber das ist sehr unwahrscheinlich.“
„Die Eltern haben das schriftlich festgelegt“, sagte Jessi. „Es ist eigentlich nur noch eine Sache von Formalitäten.“
„Papa“, schluchzte die Kleine aus dem Wageninneren.
„Na los, bring sie schon zu ihrer Mama“, grinste Verena.
Vorsichtig hob Markus das Kind aus dem Kindersitz. Sofort schlang sie ihre kleinen Arme um ihn und kuschelte sich an seine Brust. Den kleinen Steiff-Teddy, den sie von Markus und Katharina bekommen hatte, hielt sie fest in ihrer kleinen Hand. Mit dem Kind auf dem Arm ging Markus zurück zu seinen Freunden. Hinter Katharina blieb er stehen und tippte ihr auf die Schulter. Als Katharina sich umdrehte, traute sie ihren Augen nicht. „Luise“, flüsterte sie.
„Mama“, rief Luise. Vorsichtig streichelte Katharina über Luises Wange. „Wo kommst du denn her? Die Kleine hat Fieber, die ist ja ganz heiß!“ Sorge schwang in Katharinas Stimme mit.
„Verena und Jessi haben sie gebracht. Da hat uns jemand vermisst und ja, sie hat hohes Fieber bekommen. Verena sagt, vor Sehnsucht.“
„Arme Maus.“ Katharina umarmte Markus mit dem Kind. Heben durfte sie ja noch nichts, somit konnte sie das Mädchen nicht auf den Arm nehmen. „Sie bleibt bei uns. Frau Schneider kommt am 27. hierher.“
Ungläubig sah Katharina ihn an. „Ja, bedank dich bei Verena, Jessi und Nick.“
Katharina war völlig sprachlos. Ihre Gefühle überrannten sie regelrecht und Markus ging es nicht anders. Er zog Katharina in seinen freien Arm und küsste sie. „Und jetzt feiern wir Weihnachten. Mit unserer Familie.“
„Unserer groooßen Familie“, grinste Katharina.