„Katharina, alles in Ordnung?“, fragte Michi, der schon die ganze Zeit bemerkt hatte, das Katharina neben ihm sehr blass war und immer blasser wurde.
„Ich weiß nicht, mir ist irgendwie schlecht.“
„Du, kotz mir fei ja nicht in meinen Heli!“
„Ich bemüh mich.“
„Wir sind ja jetzt gleich da.“
Michi landete seine gelbe Hummel so vorsichtig wie möglich. Katharina riss förmlich die Tür auf und rannte hinüber zur Wiese, wo sie sich übergab. Besorgt sah Michi zu ihr hinüber und rief Markus an. „Beeil dich ein bisschen, Spezi, deine Freundin göbelt gerade auf die Wiese beim Heliport… ja, natürlich schau ich jetzt nach ihr. Aber beeil dich und hol sie hier ab, die Katharina gehört ins Bett.“
Markus kam nur wenige Minuten später mit Simon am Heliport an.
„Hey”, begrüßte er seine Freundin, die in der offenen Seitentür des Helis saß und ihn matt anlächelte. Er setzte sich neben Katharina, legte den Arm um sie und zog sie dann an sich. „Was ist los?”, fragte er leise. „Bisschen schlecht. War wohl etwas viel in der letzten Zeit.”
„Ich bring dich jetzt erstmal nach Hause und dann überlegen wir uns, wohin wir beide mal für ein paar Tage abhauen können, okay?“
Katharina nickte. „Das würde mir gefallen, einfach mal ein paar Tage nur du und ich.”
Ein paar Tage später waren Markus und Katharina tatsächlich nach Tirol gefahren. In ein kleines, ruhiges Tal nahe der Zugspitze. Ihre Ferienwohnung lag in einem gemütlichen Gasthaus in einem kleinen Ortsteil mit nicht mehr als 15 Häusern.
„Wow, hier ist noch weniger los als in der Ramsau”, lachte Katharina.
„Genau das, was wir wollen”, grinste er. „Ich hab mir auch schon ein ruhiges Programm für uns überlegt.”
„Aha.”
„Ja, also es gibt ein paar Seen hier, da können wir spazieren gehen, dann fahren wir mal schön wie die Touris auf die Zugspitze hinauf und der Berg hinterm Haus lässt sich problemlos erwandern.”
„Das klingt sehr entspannt.”
„So soll es sein, die letzte Zeit war echt anstrengend genug. Für uns beide.” Markus gab Katharina einen Kuss, ehe sie gemeinsam zum Essen hinunter in die Gaststube gingen. Den Gastwirt kannten sie bereits von ihren Bergretter- Fortbildungen, darum war die Wahl auch auf diesen kleinen Ort gefallen.
„Katharina, was ist los? Du hast doch sonst ein ganz anderes Tempo.“
„Ich weiß nicht, ich kann einfach nicht schneller.“ Sie schnaufte ordentlich, was Markus von ihr überhaupt nicht kannte und sank vor dem Gipfelkreuz auf den Boden. Markus setzte sich neben sie und reichte ihr die Wasserflasche, die sie dankend annahm.
„Schön ist es hier“, schnaufte sie.
„Sehr schön. Nicht so hoch wie unser Dachstein, aber der Blick zur Zugspitze und diese Ruhe hier ist toll.“
Die Beiden genossen die Einsamkeit auf dem Gipfel, Markus machte ein paar Fotos und Selfies mit Katharina, ehe es Zeit war, zurück ins Tal zu laufen. Markus nahm sie an die Hand, denn sie war schon wieder schrecklich blass um die Nase. Auf der ersten Bank, die ihnen begegnete, ließen sie sich nieder. „Dir ist wieder schlecht oder?“ Markus strich ihr sanft über den Rücken, während seine Freundin nickte, dann aufsprang und sich ins nächste Gebüsch übergab. Markus folgte ihr, hielt ihre Haare zurück und reichte ihr erneut das Wasser und einen Traubenzucker. Anschließend führte er sie zurück zur Bank.
„Du musst dich echt durchchecken lassen, das ist nicht normal, dass dir so oft schlecht und schwindelig ist.“
„Es geht mir doch schon wieder besser. Aber, wenn wir zurück sind, lass ich es checken.“
„Brav. Wenn du krank wärst, Katharina, das wäre einfach schrecklich.“
„Es wird nichts Schlimmes sein, Markus“, beruhigte ihn seine Freundin. „Das sind Stresssymptome. Schwanger kann ich ja wohl nicht sein.“ Unbewusst strich Katharina über ihre Narbe.
Nach der Woche Urlaub hatte Katharina wieder richtig Farbe im Gesicht bekommen und auch Markus war sichtlich erholt. Beide hatten die Auszeit wirklich nötig gehabt. Die Zeit zu zweit tat ihnen nach Johannas Beerdigung und der Offenbarung von Markus, dass er kein Kind haben wollte, gut. Katharina fiel es zwar immer noch sehr schwer, aber sie akzeptierte Markus Entscheidung. Sie liebte ihn und er war einfach für sie das wichtigste. Sie würde ihn für nichts auf der Welt aufgeben.
„Hey, Spatzl, bist ja schon wieder so blass.“ Michi schaute Katharina neben sich im Helikopter kritisch an. „Ist dir schon wieder schlecht?“
Katharina nickte Michi zu.
„Hm, also so langsam nehm ich es persönlich, dass dir seit neuestem im Heli schlecht wird.“
„Vielleicht solltest du mal an deiner Flugweise arbeiten“, grinste sie. „Das geht gleich schon wieder. Ich hab heut schon den ganzen Tag ein bisschen Kreislaufprobleme. Sag bitte nichts dem Markus, der macht sich immer direkt mehr Sorgen als nötig und das tät ihm momentan nicht gut. Ich hab eh nächste Woche einen Termin bei deiner Frau zum Check up.“
„Soll ich dich zu Verena fahren?“, fragte Markus eine Woche später beim Frühstück. „Brauchst du nicht, danke. Mit meinem Wagen bin ich flexibel.“
„Aber meld dich bitte, ob alles in Ordnung ist.“
„Das mach ich.“ Katharina drückte ihm einen Kuss auf die Wange und verließ das kleine Häuschen.
„So, Katharina, ich hab alle Laborwerte, jetzt schauen wir mal.“
Katharina saß angespannt vor Verenas Schreibtisch. Eigentlich war sie aufgrund ihres Berufes sicher, dass sie nichts Schwerwiegendes haben konnte, aber doch machte sie das Warten auf die Ergebnisse nervös.
„Sieht alles sehr gut aus, aber eins irritiert mich.“
Fragend sah Katharina Verena an. „Was denn?“
„Dein HCG-Wert ist total hoch.“
„Wie kann das denn sein?”
„Das frag ich mich auch. Lass uns einen Ultraschall machen, um sicher zu gehen.“
„Ich kann nicht schwanger sein, Verena.“
„Verhütet ihr denn noch?“
„Nee, wozu?“
„Dann kann es doch möglich sein. Wir schauen jetzt, komm mal mit.“
Verena zog Katharina hinter sich her.
„Leg dich mal hin und mach mal bitte deinen Bauch frei.“
Katharinas Kopf fuhr Achterbahn. Als das kalte Gel ihre Haut berührte, zuckte sie regelrecht zusammen.
„Schau mal!“, lächelte Verena.
Katharina konnte nicht glauben, was sie da sah und begann zu strahlen.
„Du bist schon in der 13. Woche. Gratuliere!“
„Wie stark das kleine Herzchen schlägt.“
„Ja, das leistet schon sehr gute Arbeit. Ich mach dir ein Foto davon und stell dir einen Mutterpass aus.“
Katharina wischte sich den Bauch ab und setzte sich auf. Sie war noch immer total durch den Wind.
„Der Markus wird sich freuen“, strahlte Verena.
Nun fing Katharina plötzlich bitterlich an zu weinen.
„Hey, was ist denn los?“ Verena nahm ihre Freundin in den Arm.
„Der Markus…“
„Was ist mit Markus?“
„Der will kein Kind.“ Katharina weinte so verzweifelt, dass Verena alle Mühe hatte, sie wieder zu beruhigen.
„Hat er das gesagt?“
„Ja, als ich das Thema Adoption angesprochen habe.“
„Ein eigenes Kind ist nochmal was anderes. Der Markus wird es lieben. Du kennst ihn doch.“
Markus hatte schon zig Mal versucht, Katharina zu erreichen, aber sie hatte den Klingelton ausgeschaltet. Sie musste nachdenken. In seiner Sorge hatte er schon bei Verena angerufen, die ihm aber nicht sagen konnte, wo Katharina nach ihrem Termin im Krankenhaus hin wollte. Markus hatte sich eben von Rudi verabschiedet und war auf dem Weg nach Hause, als er Katharinas Wagen am Friedhof entdeckte. Er parkte direkt hinter ihr und betrat diesen ebenfalls. Johannas Grab hatte frische Blumen bekommen, Katharina war bestimmt hier gewesen, denn die Blumen trugen eindeutig ihre Handschrift. Er ging weiter bis zum Grab ihres Sternenkindes. Dort kniete Katharina auf dem Boden. Markus beschlich ein ungutes Gefühl. Dass sie ihn nicht einmal bemerkte, verstärkte dieses Gefühl nur noch. Markus näherte sich zögerlich und vernahm ihr Schluchzen.
„Katharina?“ Leise sprach er sie an.
Erschrocken drehte sie sich zu ihm herum. „Markus.“
Er kniete sich zu ihr auf den Boden und sah in ihre total verheulten Augen.
„Was ist passiert?“ Sie umklammerte Markus und stammelte nur: „Lass mich bitte nicht allein.“
„Niemals!“ Er drückte sie an sich und streichelte über ihren Rücken und ihr Haar. „Was ist passiert, Katharina? Bist du krank?“, fragte er voller Sorge.
„Nein, ich bin nicht krank.“
„Gott sei Dank!“ Markus atmete erleichtert aus.
„Das mit dem Kind… gibt es einen Weg dich da umzustimmen?“
„Katharina, ich will kein Kind.“ Verletzt sah sie ihn an, löste sich aus seinen Armen und taumelte regelrecht Richtung Ausgang. Markus folgte ihr. Warum verstand sie ihn denn nicht? Sie hatten dies doch alles bereits besprochen.
„Katharina, warte!“ Er beschleunigte und lief hinter ihr her.
Am Ausgang holte er sie ein und legte die Arme um sie, um sie festzuhalten.
Katharina weinte nun bitterlich. „Du willst uns nicht!“, stammelte sie.
„Uns?“
„Ja, uns“, flüsterte sie.
„Schatz, was meinst du?“ Katharina löste sich ein Stück aus der Umarmung und griff in die Jacke ihres Parkas. Markus schaute sprachlos auf das kleine Heft in ihrer Hand, aus dem Katharina mit zitternden Fingern das Ultraschallbild holte und es ihm hinhielt. Einen Augenblick sah er das Bild völlig entgeistert an, dann zog er sie wieder enger in seine Arme. „Wie haben wir das denn geschafft? Das ist doch eigentlich gar nicht möglich, oder?“, fragte Markus irritiert.
Katharina zuckte mit den Schultern. Sie hatte keine Ahnung.
„Katharina, du bist das wichtigste und wertvollste in meinem Leben und eine Miniaturausgabe von dir werde ich doch genauso lieben.“
„Du willst uns also doch?“ Sie hob nun den Kopf, um ihm in die Augen zu schauen. „Natürlich! Zweifle bitte nie wieder daran! Du bekommst ein Kind. Mein Kind. Unser Kind. Das ist… das ist unglaublich.“ Er schüttelte den Kopf. „Das ist verrückt, ich begreif das gar nicht. Du musst mir aber dabei helfen. Du weißt, meine Vaterqualitäten sind miserabel.“
„Das sind sie nicht! Du hast das mit Mia wirklich toll gemacht. Und diesmal bist du nicht allein, das meistern wir gemeinsam. Und das Schönste ist: Unser Kind bekommt Eltern, die sich wirklich lieben.“