Geschenk des Himmels

„Gratuliere, Katharina, es ist ein Mädchen.“ 
Die Hebamme strahlte Katharina freudig an. Erschöpft war sie ins Kissen zurückgesunken und lächelte ihr matt zu. Sie dachte unweigerlich an ihr Sternenkind, das mittlerweile 5 Jahre alt wäre. Das Kind, das nie das Licht der Welt erblickt hatte und in ihrem Bauch gestorben war. Das Kind, dessen Tod sie nie verwunden hatte. 
„Ich bringe sie dir gleich, wenn wir alle Fingerchen gezählt haben.“ Bea strahlte die erschöpfte junge Mutter an. „Dann kannst du sie knuddeln.“ 
Katharinas Gedanken schweiften weiter zum Vater der Kleinen. Markus. Er hatte keine Ahnung, dass er Vater werden würde oder mittlerweile geworden war. Eigentlich konnte Markus keine Kinder zeugen. Und genau das war der Grund, warum Katharina sich ironischerweise von der großen Liebe ihres Lebens getrennt hatte. Er wollte keine Kinder. Sie hatte es schweren Herzens akzeptiert und einen Schlussstrich unter ihre Beziehung gezogen, obwohl es ihr Herz in Millionen kleine Einzelteile zerfetzt hatte. Sie liebte ihn und sie würde ihn immer lieben. Nur darum war es bei einem Einsatz mit der Bergrettung dazu gekommen, dass sie noch einmal miteinander geschlafen hatten. Sie wurden von einem Unwetter überrascht und hatten Schutz gefunden in einer kleinen Hütte. Um sich zu wärmen, kuschelten sie sich aneinander und alle Gefühle kamen dabei geballt zurück an die Oberfläche. Sie waren beide einfach übereinander hergefallen wie zwei Ertrinkende und hatten sich in dieser Nacht einfach so leidenschaftlich und gefühlvoll geliebt. Dass Markus zu diesem Zeitpunkt bereits seit Monaten glücklich in einer neuen Beziehung war, wusste Katharina nicht. Er hatte ihr nichts erzählt und auch keiner ihrer Freunde. Am Morgen war alles so schnell gegangen, dass sie nicht über ihre gemeinsame Nacht und ihre Bedeutung hatten sprechen können. Sie waren schließlich im Einsatz gewesen und mussten wieder funktionieren – und ihre Gefühle ausblenden. Katharina hatte es dann direkt nach Ende des Einsatzes zufällig von Michi erfahren. Markus war also neu vergeben und hatte die neue Frau an seiner Seite mit ihr betrogen. Sie fühlte sich unendlich schlecht und schuldig deswegen. Das Letzte, was sie wollte, war, sich in seine Beziehung zu drängen. Markus sollte doch glücklich sein. Ihre eigene Beziehung mit Nick war schon nach kürzester Zeit gescheitert, bevor sie überhaupt auch nur ein einziges Mal mit Nick geschlafen hatte. Vielleicht war auch genau das der Grund für das schnelle Scheitern. Sie konnte sich nicht überwinden, mit ihm ins Bett zu gehen, ihr Herz hing einfach immer noch zu sehr an Markus. Sie wollte eigentlich auch noch gar keine neue Beziehung, aber Nick hatte sie richtig hineingedrängt. Ihre Gefühle für ihre große Liebe waren einfach viel zu präsent. Und als sie auch noch jede Nacht im Schlaf nach Markus geweint hatte, zog Nick die Reißleine und setzte sie vor die Tür. Mit Markus in der Hütte hatte einfach ihr Herz gesprochen. Sie wollte ihn und im Inneren ihres Herzens wusste sie auch, dass sie nie wieder einen Mann so lieben würde. Darum war sie vor neun Monaten Hals über Kopf aus Ramsau verschwunden und nach Salzburg gegangen. Sie hatte eine Stelle in einer Klinik gefunden und sich ein ganz kleines Appartement gemietet. Alle Kontakte nach Ramsau hatte sie kurzerhand abgebrochen, ihr Telefon seit ihrem Weggang nicht mehr eingeschaltet und sich ein neues besorgt. Natürlich war sie sich bewusst, dass Ramsau nicht weit entfernt war, aber vielleicht wollte sie auch einfach gar nicht weiter fort. Immerhin lag dort ihre erstgeborene Tochter auf dem Friedhof. Vielleicht hoffte sie innerlich aber auch, dass sie jemand ihrer Freunde doch finden würde. Im Grunde wollte sie einfach nur irgendwie über Markus hinwegkommen und dafür musste sie einfach alles in Ramsau hinter sich lassen. Ihn mit seiner neuen Freundin zu sehen, das konnte sie einfach nicht ertragen. Und immerhin trug sie in ihren Augen ja die Schuld an allem, weshalb sie diejenige war, die gehen musste. Ihr Bruder und ihre Freunde gaben ihr das auch klar zu verstehen. Zumindest bildete sie sich das ein. Und ihr Vater drängelte sie ständig nur wegen eines Enkels. Katharina war bereits im 4. Monat, als sie das kleine Wunder in ihrem Bauch erstmals bemerkt hatte. Ihre Übelkeit hatte sie bis dahin immer mit ihrem Kummer erklärt, aber die Tatsache, dass ihre Hosen plötzlich nicht mehr zugingen, obwohl sie kaum aß, ließ sie stutzig werden. Der positive Schwangerschaftstest hatte sie in die reinste Gefühlsachterbahn katapultiert. Schwanger. Ihr größter Wunsch war dabei sich zu erfüllen. Von niemand anderem auf der Welt hätte sie lieber ein Kind bekommen als von Markus. Sie hatte lange überlegt, sich bei Markus zu melden. Aber die Erinnerung an seine heftige Ablehnung gegen ein Kind versetzte ihr immer wieder einen Stich ins Herz. Er wollte kein Kind und dass er nicht bereit war, seinen Standpunkt noch einmal zu überdenken, hatte er ihr eindeutig zu verstehen gegeben. Er hatte sie vor die Wahl gestellt: ein Kind oder er. Es hatte ihr damals das Herz gebrochen und jedes Mal, wenn sie darüber nachdachte, spürte sie den Schmerz wieder. Außerdem würde er ihr niemals glauben, dass es wirklich das Seine war. Warum sollte sie ihn also mit ihrem Baby belasten? Damit würde sie auch automatisch nur seine neue Liebe zu Nina erschüttern und ihn unglücklich machen. Und wenn sie eines nicht wollte, dann dass Markus unglücklich war. Ihre Mutter hatte es schließlich auch geschafft, sie alleine großzuziehen und sie würde es auch schaffen. 

Als sich die Tür wieder öffnete und Katharinas Hebamme Bea ihre kleine Tochter hereinbrachte, huschte ein Lächeln über Katharinas Gesicht. „Und? Ist sie gesund?“ 
„Ja, alles bestens. 48 cm ist sie und wiegt 3453 g. Genaue Geburtszeit war 23.19 Uhr. Alles ist dran und die kleine Maus ist kerngesund.“ Vorsichtig legte sie Katharina das Baby in den Arm. 
Liebevoll sah Katharina das kleine, rosige Mädchen an. Zärtlich streichelte sie ihrer Tochter über das Köpfchen, nahm die kleinen Fingerchen und sprach ganz leise mit ihr. 
„Bist du sicher, dass ich wirklich niemanden anrufen soll, Katharina?“ 
Katharina schluchzte einmal und flüsterte „Nein, Bea, der Markus will doch absolut kein Kind. Der würde mir auch sowieso nicht glauben, dass die Kleine von ihm ist.“ 
Verwirrt sah Bea sie an. „Wieso das denn nicht?“ 
„Weil er zeugungsunfähig ist. Zumindest sollte er das sein. Und außerdem sind wir sind getrennt und ich muss ihn endlich vergessen … Irgendwie.“ 
„Katharina, wie willst du den Vater deiner Tochter denn jemals vergessen? Denk noch mal darüber nach. Für dein Kind. Und für dich selbst. Dass du unter eurer Trennung leidest, ist mehr als offensichtlich. Wenn du über deine Probleme reden möchtest, bin ich immer für dich da.“ 
„Danke“, flüsterte Katharina. Sie hatte das Gefühl, dass ihre Probleme bei Bea gut aufgehoben wären, aber trotzdem hatte sie nichts weiter über Markus oder ihr Leben in Ramsau erzählt. Niemandem hatte sie irgendetwas erzählt. Auch nicht ihren Kolleginnen, zu denen sie ein tolles Verhältnis hatte. Sie wünschte sich so sehr Emilie herbei. Sie vermisste ihre beste Freundin wahnsinnig. Aber sobald sie sie anrufen würde und Emilie nur ein Wort darüber verlor, würden alle auf Emilie einstürmen, um Näheres von ihr zu erfahren. Das wollte sie Emilie nicht antun. Aber der Drang, zu Hause anzurufen, war einfach groß. Da lag nun dieses wundervolle kleine, noch ziemlich zerknautschte Geschöpf in ihrem Arm und niemand freute sich mit ihr, dabei war dieses Baby doch das reinste Wunder. Ihr Vater hatte jetzt endlich seinen Willen und würde sich definitiv freuen. Und wahrscheinlich auch Tobias, Emilie und ihre anderen Freunde. Rudi wahrscheinlich ganz besonders. Der Gedanke an Rudi ließ sie direkt schmunzeln. Katharina vermisste ihr Zuhause, ihre Freunde, ihre Familie. Hier war sie so schrecklich alleine. Aber sobald sie sich melden würde, würde automatisch auch Markus wieder in ihr Leben treten. Und alleine nur der Gedanke daran, ihn mit Nina zu sehen, ließ einen Kloß in ihrem Hals entstehen, der ihr das Gefühl gab, sie würde daran ersticken und trieb ihr unweigerlich die Tränen in die Augen. 
Bea spürte Katharinas Gewissenskonflikt deutlich. „Denk in Ruhe darüber nach, jetzt kümmern wir uns erst mal um deine Nachgeburt. Hast es gleich geschafft.“ 

Nachdem die Nachgeburt draußen war und Katharina ihre kleine Tochter das erste Mal gefüttert hatte, fiel sie total erschöpft in einen sehr unruhigen Schlaf. Sie war nassgeschwitzt, als Bea nach ihr schaute. Katharina murmelte im Schlaf immer wieder den einen Namen. Markus. Dann folgten Emilie und Tobias. Bea stockte. Emilie und Tobias? Sie hatte früher in der Ramsau eine gute Freundin namens Emilie, zu der sie leider den Kontakt verloren hatte, die aber einen Tobias geheiratet hatte. Leise flüsterte Katharina im Schlaf die Worte „Markus, ich liebe dich.“ Bea fasste einen Entschluss, schließlich gab es nichts zu verlieren. 

Emilie, Tobias und Markus saßen gerade beim Frühstück. Es war der 2. Advent und die Ramsau lag schon unter einer geschlossenen Schneedecke. 
Tobias spielte gedankenverloren mit der Kerze auf dem Tisch. 
„Sagt mal, Ihr beiden, habt ihr euch jetzt mal Gedanken über Weihnachten gemacht?“ 
Markus schüttelte nur den Kopf. „Mia kommt nicht, Katharina ist weg, für mich fällt Weihnachten aus.“ 
„Für mich auch“, seufzte Tobias. „Ohne meine Schwester will ich kein Weihnachten.“ 
„Ich vermisse sie doch auch, vielleicht meldet sie sich ja zum Fest?“ Emilie versuchte seit Monaten den beiden Hoffnung zu geben, aber Markus und auch Tobias waren stets trauriger geworden. Sie wusste nicht mehr, wie sie die beiden aufheitern sollte. Das Klingeln des Telefons durchbrach die Stille und Emilie war beinah froh darüber, die Küche verlassen zu können. 
Verwundert wegen der frühen Morgenstunde, nahm Emilie den Hörer ab. „Hofer.“ 
„Hallo Emilie, hier ist Bea“, begrüßte sie eine vertraute Stimme. 
„Bea, ich glaube es nicht, wie schön! Wie geht’s dir?“ Emilie war sichtlich glücklich über den Anruf ihrer Freundin. 
„Mir geht’s gut, Danke. Ich hoffe, dir auch. Du, warum ich anrufe. Ich breche jetzt wahrscheinlich das Arztgeheimnis, aber kennst du vielleicht eine Katharina?“ 
Überrascht zog Emilie die Augenbrauen hoch. „Ja. Wieso?“ 
„Auch einen Markus?“ 
„Ja natürlich. Aber was ist mit ihr? Wo ist sie?“ 
„Ist eure Katharina blond, lockig, hat braune Augen und ist verdammt hübsch?“ 
„Das ist sie. Unsere Katharina heißt Strasser mit Nachnamen.“ 
„Okay, dann ist es die Richtige. Gott sei Dank.“ 
„Bea, was ist mit ihr? Jetzt sag doch!“ 
„Könnt ihr nach Salzburg kommen? Jetzt?“ 
„Ja. Natürlich, aber … Geht es ihr gut?“ 
„Mach dir keine Sorgen, aber es ist echt wichtig, dass ihr drei kommt. Uniklinik für Frauenheilkunde, Müllner Hauptstraße 48. Ich warte auf euch. Bis später.“ 

Verwirrt kam Emilie zurück in die Küche. „Zieht euch an, wir müssen nach Salzburg, jetzt!“ 
„Was sollen wir in Salzburg?“, fragte Tobias überrascht. 
„Das war Bea am Telefon. Irgendwas ist mit Katharina. Wir sollen sofort zur Uniklinik für Frauenheilkunde kommen.“ 
„Was?“ Markus schluckte hart und sprang vom Tisch auf. „Was … Was ist mit ihr?“ fragte er leise. 
Emilie schaute Markus tröstend an. „Ich weiß es nicht, Markus.“ Markus nickte nur und sprang auf. „Worauf warten wir noch? Los!“ 
Emilie schrieb noch schnell Franz einen Zettel, der am Mittag aus Wien von seiner Schwester zurückkommen würde. 

Die Fahrt nach Salzburg kam ihnen schrecklich lang vor. Markus war ganz still und sämtliche Farbe war seit der Nachricht aus seinem Gesicht gewichen. Seine Sorge um Katharina war einfach unglaublich groß und seine Gedanken fuhren Achterbahn. Was war mit Katharina? Wieso war sie im Krankenhaus? Hatte sie etwa wieder eine Fehlgeburt? Frauenheilkunde konnte aber doch auch noch Schlimmeres bedeuten. Hatte sie am Ende etwas Lebensbedrohendes? Würde er sie für immer verlieren? War das der Grund, warum sie verschwunden war, dass sie sterben würde? Dass sie keinen belasten wollte? So etwas würde zu ihr passen. 
Markus drehte beinah durch. Je näher sie Salzburg kamen, desto unruhiger wurde er. Er hatte das Gefühl, eine tonnenschwere Last würde auf seinem Brustkorb liegen. Tobias steuerte den Wagen auf den Parkplatz und nervös liefen die drei Freunde zum Eingang des Krankenhauses hinüber. Bea tigerte schon im Eingangsbereich herum und wartete auf Emilie, Tobias und Markus. Sie hoffte, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, ihre Freundin anzurufen. Im nächsten Moment erblickte sie Emilie und rief ihren Namen. 
„Hey Bea“, rief Emilie zurück und drückte ihre Freundin an sich. 
„Wo ist Katharina? Was ist mit ihr?“, fragte Markus aufgeregt. 
„Ich bringe euch zu ihr. Kommt mit, dann werdet ihr verstehen.“ 

Katharina war nach dem Stillen ihres Babys wieder eingeschlafen. Sie war von der Entbindung ziemlich erschöpft und kraftlos. Die Kleine lag neben ihr in ihrem Arm und schlief ebenfalls.  
Vorsichtig klopfte Bea, aber Katharina hörte sie nicht. Sie drückte leise die Klinke hinunter und öffnete die Tür. Dann schob sie Markus in den Raum. Markus bewegte sich nur sehr zögerlich auf das Bett zu. Katharina sah sehr blass aus, aber sie atmete regelmäßig ein und aus, was ihm eine große Last von der Seele nahm. Doch dann erblickte Markus das Baby neben ihr. Sein Herz krampfte sich zusammen. Er wollte den Raum wieder verlassen, aber Bea hielt ihn auf. „Geh hin, es ist deins“, flüsterte sie leise. Verwirrt schaute Markus sie an. 
„Ja, es stimmt. Es ist wirklich deins. Ihr habt ein kleines Wunder vollbracht. Geh zu ihr. Los.“ 
Vorsichtig trat Markus an das Bett heran, während Emilie nach Tobias Hand griff. 
„Glückwunsch, Onkel Tobi“, flüsterte sie ihm ins Ohr. 
Bea schob Markus einen Stuhl vor Katharinas Bett und drückte ihn sanft hinein. „Bevor du hier noch umkippst. Wir lassen euch mal allein“, flüsterte sie. 
Markus fühlte sich wie durch den Fleischwolf gejagt. Wie konnte das kleine Wesen in Katharinas Arm denn bitte seins sein? Er konnte doch kein Kind zeugen? 
Er begann zu rechnen. Als er mit Katharina in der kleinen Hütte geschlafen hatte, war tatsächlich vor etwas mehr als 9 Monaten gewesen. Damals dachte er, dass alles wieder gut werden würde. Doch dann war sie einfach verschwunden. Über Nacht. Ohne ein Wort. Einfach weg. Nun lag sie vor ihm mit einem Baby im Arm. Wie konnte das sein? 
Katharinas Schlaf wurde unruhiger. Sie murmelte seinen Namen. Immer wieder. Markus wusste nicht, was er tun sollte. Er sah, dass Tränen über ihre Wangen liefen. „Ich liebe dich“, murmelte sie und er traute seinen Ohren nicht. Hatte sie das eben wirklich gesagt? Vorsichtig griff er nun nach ihrer Hand und streichelte sanft mit dem Daumen darüber. 
Sie wurde direkt wieder ruhiger. 
Markus betrachtete das kleine Baby genauer. Er hatte keine Ahnung, ob da ein kleines Mädchen oder ein kleiner Junge vor ihm lag. Auf dem Armbändchen konnte er nur Strasser lesen. Er blickte sich im Raum um. Auf der anderen Seite ihres Bettes stand ein Babybett. Vielleicht konnte er da ein Namensschild finden. Leise stand er auf und ging um ihr Bett herum. Und tatsächlich, da stand ein Name: Luisa Johanna Strasser. Sie hatte dem Kind tatsächlich die Namen ihrer Mütter gegeben. 
„Ach, Katharina“, flüsterte er und seufzte tief. 
„Markus?“ Katharinas Stimme klang schwach und verschlafen. 
„Ja, ich bin hier“, sagte er leise. 
„Aber …“ Weiter konnte sie nicht sprechen. Ihre Stimme brach weg und gehorchte ihr nicht mehr. Stattdessen fing sie bitterlich an zu weinen. 
„Hey, nicht weinen.“ Markus setzte sich vorsichtig auf ihr Bett, nahm das kleine Mädchen und legte es behutsam in sein Bettchen. Dann zog er Katharina in eine feste Umarmung und ließ sie einfach weinen, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Sie hatte sich an ihn geklammert, als würde sie ertrinken. Es vergingen etliche Minuten, bis Katharinas Schluchzen weniger wurde. 
Markus hatte ihr Bett hochgestellt und ließ sie vorsichtig ins Kissen gleiten. 
„Du machst Sachen“, flüsterte er und streichelte zärtlich über ihre Wange. 
Beschämt schaute sie auf die kleine Luisa. „Ich wollte deine Beziehung mit Nina nicht kaputtmachen“, schluchzte sie. „Du sollst doch glücklich sein.“ 
„Meine was? Welche Beziehung mit Nina? Die hat doch nie wirklich stattgefunden. Wie kommst du denn darauf? Ich schlafe doch nicht mit dir, wenn ich eine Beziehung mit einer anderen habe.“ Markus sah sie verletzt an. „Hast du das wirklich geglaubt?“ 
„Michi hat doch gesagt, du bist seit Wochen glücklich mit ihr.“ 
„Das hab ich ihm doch nur erzählt, damit er mir nicht mehr auf den Geist geht, dass ich mir endlich eine neue Frau suchen soll.“ 
Mit großen, verweinten Augen schaute Katharina Markus an. „Was? Du bist gar nicht …?“ 
Markus schüttelte den Kopf. Nun dämmerte es ihm. „Bist du deswegen fort?“ 
Sie nickte nur und wieder rannen die Tränen über ihre Wangen. 
„Ach, du kleines Dummerle, komm her.“ 
Markus zog sie wieder in seine Arme. „Hau nie wieder ab wegen so was. Versprichst du mir das?“ 
„Mhm“, kam es von ihr. Katharina war gerade nicht in der Lage zu sprechen. 
„Hast du mich wenigstens vermisst?“, fragte er frech. 
„Und wie“, flüsterte sie. 
„Geschieht dir recht“, sagte er mit einem Grinsen im Gesicht. „Und jetzt wär es toll, wenn du mir meine Tochter mal ordentlich vorstellen würdest. Sie ist nämlich gerade wach.“ 
Katharina hob mit einem Grinsen die Kleine aus dem Bett und legte sie Markus in die Arme. „Schau mal, meine Kleine, das hier ist dein Papa. Markus, das ist deine Tochter Luisa Johanna. Wenn du mit den Namen einverstanden bist, eingetragen ist es noch nicht.“ 
„Bin ich nicht!“ Erschrocken schaute Katharina ihn an. 
„Mit den Vornamen schon, aber mir gefällt der Nachname nicht. Ich finde, wir sollten schon irgendwann alle denselben haben, oder? Luisa Johanna Kofler klingt doch echt toll, oder?“ 
Katharina schmunzelte. 
„Ich glaube, wir beide haben da noch einiges zu klären und werden beide Zeit brauchen, um alles zu verarbeiten, aber ich denke, wir haben aus der Sache wohl eins gelernt, oder? Dass wir zusammen gehören. Also räumen wir jetzt mal unsere Trümmer auf und bemühen uns, gute Eltern zu sein, oder?“ 
„Du willst uns wirklich? Obwohl du so gegen ein Kind warst?“ 
„Schau dir das süße Ding hier doch mal an. Wie kann ich das denn nicht haben wollen? Aber, dass du mir nichts gesagt hast und ich nichts von deiner Schwangerschaft mitbekommen habe, das verletzt mich echt. Ich wär doch für dich da gewesen.“ 
„Es tut mir leid, Markus. Aber deine Ansage: Kind oder ich war einfach für mich zu viel, darum habe ich geschwiegen. Ich wollte doch nur das Beste für dich. Tut mir leid, dass ich nicht gesehen habe, dass es das nicht war.“ 
„Bitte tu sowas nie wieder. Versprich mir das.“ 
„Ich verspreche es dir. Geh mal an meinen Schrank, bitte.“ 
Markus übergab Luisa an Katharina und tat wie ihm geheißen. 
„Schau mal in meine Reisetasche, da ist ein ziemlich dickes A4 Buch drin.“ 
Markus hatte es sofort gefunden und kam damit zurück zu ihrem Bett. 
„Komm her“, sie klopfte neben sich und deutete ihm zu ihr zu kommen und sich zu ihr ins Bett zu bewegen. Markus legte sich neben sie und Katharina legte ihm seine Tochter auf die Brust. Sie selbst drückte sich eng an ihn und schlug das Buch auf. ‚Für Papa Markus von Mama Katharina und Deinem Kind‘ stand dort in großen Lettern geschrieben. Verwundert sah er Katharina an. 
„Es beginnt aber erst ab der 15. Woche. Vorher hab ich unsere Kleine gar nicht bemerkt und gedacht, sie wäre einfach ein Resultat meines Kummers. Ich habe ab da jede Woche meinen Bauch fotografiert, alles dokumentiert, eingeklebt und festgehalten und dir regelmäßig Briefe hier reingeschrieben. Ich wusste ja nicht, was die Zeit bringen würde und ich habe es nicht geschafft, dich zu vergessen. Während der Schwangerschaft hatte ich so viel Angst, dass ich auch dieses Kind verlieren könnte, dass ich gar nicht wissen wollte, was es wird und habe auch den Kinderwagen wirklich erst vor wenigen Wochen gekauft. Jeden einzelnen Tag hast du mir einfach so schrecklich gefehlt. Ich dachte, du bist glücklich mit Nina.“ 
„Ach, Katharina … Ich hab dich mehr vermisst, als du dir vorstellen kannst. Und nicht nur ich. Dein Bruder, Emilie, die Jungs, besonders der Rudi, der Franz, dein Vater, Verena, Jessi …“ 
„Ich vermisse sie doch auch. Ich war so allein hier.“ 
„Du kommst doch wieder mit heim, oder?“, fragte Markus panisch. 
„Wenn du mich wirklich noch willst, ja.“ 
Vorsichtig küsste Markus Katharina auf den Mund. „Reicht dir das als Antwort?“ 
Es klopfte zaghaft an der Tür. Fragend schaute Katharina Markus an. Vorsichtig öffnete sich die Tür und Tobias steckte den Kopf herein. 
„Tobi“ quiekte Katharina vor Freude. 
„Schwesterchen“, sagte er überglücklich. 
„Schwägerin“ kam es von Emilie. 
„Emilie“, entgegnete Katharina glücklich. „Ihr seid auch hier.“ 
Tobias umrundete das Bett, um seine Schwester in die Arme zu nehmen. Katharina liefen wieder die Tränen über die Wangen. Danach schloss sie Emilie in die Arme. „Ich hab euch so schrecklich vermisst.“ 
„Schaut euch doch mal meine Tochter an.“ Voller Stolz drehte Markus das Baby herum. 
„Wie süß sie ist“, sagte Emilie verzückt. 
„Sie wird jetzt für Leben auf dem Hof sorgen“, grinste Markus. 
Tobias strahlte. „Du kommst nach Hause?“, fragte er seine Schwester hoffnungsvoll. 
„Ja, ich komme mit heim. Ich muss nur meinen Kram packen, wenn ich hier rauskomme.“ 
„Das können wir doch machen“, meinte Emilie. „Je schneller du wieder bei uns bist, umso besser. Außerdem brauchst du jetzt viel Ruhe und Schonung und die solltest du dir auch gönnen.“ 
„Okay. Ich geb euch gleich meinen Schlüssel und die Adresse. Mein Auto steht draußen auf dem Parkplatz. Kindersitz ist auch schon drin. Übermorgen darf ich bestimmt gehen.“ 
„Und bis dahin haben wir euch gerade ein Familienzimmer gebucht, damit der Markus hierbleiben kann. Hotel Herbrechter zahlt.“ Tobias grinste seinen besten Freund breit an. „Und, wenn ihr beide euch noch einmal trennt, dann klebe ich euch persönlich aneinander fest, habt ihr das verstanden!? Nie wieder macht ihr so was mit uns!“ 
„Versprochen“, antworteten Katharina und Markus gleichzeitig. 
„Aber ihr habt mir immer noch nicht gesagt, woher ihr eigentlich wusstet, dass ich hier bin.“ Fragend schaute Katharina in die Runde. 
„Bedank dich bei Bea. Und sei froh, dass du offenbar neuerdings im Schlaf redest“, grinste Emilie. „Die Bea ist nämlich deine Vorgängerin bei der Bergrettung. Und als du im Schlaf von Markus, Tobias und mir gesprochen hast, hat sie einfach angerufen und gefragt, ob wir dich kennen.“ 
„Und schon sind wir da“, grinste Tobias. „Weil wir dich brauchen und vermissen.“ 
„Sag mal, Katharina, kann ich die Paten bestimmen?“, fragte Markus unvermittelt. 
„Klar.“ 
„Dann Glückwunsch, Tante Emilie, Onkel Tobi, ihr habt das Glückslos gezogen.“ 
Glücklich sahen sich die beiden an. „Sehr gerne.“ 

Zwei Tage später fuhr Markus Katharinas Wagen auf den Hof. In der Mitte prangte ein riesengroßer Weihnachtsbaum. 
„Wow, was ist denn das?“, fragte Katharina, als sie aus dem Wagen kletterte. 
„Wir nennen es Weihnachtsbaum. Solltest du aber noch kennen.“ Markus grinste sie schief an. 
Katharina rollte mit den Augen. „Aber sooo groß?“ 
„Den hat der Michi gestern extra mit dem Heli hergeflogen.“ 
„Oah, der Heli, ich vermisse das Fliegen total. Überhaupt, ich hab das alles hier so vermisst.“ 
„Jetzt komm erst mal rein.“ Markus holte den Maxi Cosi mit Luisa aus dem Wagen und mit der anderen Hand umfasste er Katharina, die noch etwas wackelig auf den Beinen stand. 
„Hast du umgeräumt?“, fragte sie, als sie ihr Häuschen betrat. 
„Ein bisschen. Ich hab etwas nach hinten angebaut. Wir haben jetzt ein Wohnzimmer hier unten.“ 
Katharina sah sich um in ihrem neuen, alten Zuhause. „Das ist toll geworden, Markus.“ 
Vor ihrem neuen Sofa stand ein wunderschöner Stubenwagen. „Da lag mal der Tobi drin, hat er mir vorhin erzählt. Tobi hat ihn aus dem Hotel geholt und hergebracht. Und der Franz hat ihn hergerichtet für die kleine Prinzessin und die Emilie hat die Garnitur genäht.“ 
„Wow, das ist wunderschön.“ Katharina liebte Familie, umso schöner fand die es, dass ihr großer Bruder schon darin gelegen hatte. Markus schob Katharina sachte aufs Sofa und stellte Luisa neben ihr ab. „Bleib hier sitzen, ich hole eben den Rest rein.“ 

 
 
Blitzschnell war Markus zurück. Katharina hatte sich schon die Schuhe ausgezogen und sich in die Sofaecke platziert. Markus legte eine Decke über sie. „Ruh dich aus. Ich kümmere mich so lange um die Prinzessin.“ 
„Ich bin wirklich müde“, gab sie zu. 
„Schlaf ein bisschen. Ich zeige Luisa derweil den Hof.“ 
Katharina war schon eingeschlafen, bevor Markus das Baby aus dem Maxi Cosi geholt hatte. Er stellte ihr noch etwas zu trinken neben das Sofa und legte das Telefon neben sie. Dann ging er mit seiner Tochter auf den Hof. „Guck mal, Luisa, da wohnen der Tobi und die Emilie. Und das da, das ist ein Weihnachtsbaum. Und da hinten, da siehst du die Berge. Und die werden wir dir alle zeigen. Und wir werden mit dir klettern und Skilaufen und Schlittenfahren. Und der Michi wird bestimmt auch Helikopter mit dir fliegen… Und jetzt gucken wir mal, ob die Emilie da ist.“ 
 

Um Katharina Ruhe zu gönnen, hatten weder Markus noch Tobias, Emilie oder Franz irgendwem von ihrer Rückkehr erzählt. Markus hatte sich vier Wochen Urlaub genommen und die Leitung der Bergrettung an Tobias übertragen. Katharina und er hatten schließlich eine Menge aufzuarbeiten und das Leben mit einem Baby musste auch erst ein wenig Routine bekommen. Körperlich ging es Katharina mittlerweile wieder ein klein wenig besser. Markus und sie hatten stundenlange Gespräche geführt. Sie waren sich einig, dass diese Chance und dieses Babywunder einfach ein Geschenk des Himmels waren, ein Wink des Schicksals, dass sie zusammen gehörten. 

Am Tag vor Heiligabend gab es ein großes Fest mitten im Dorf mit Weihnachtsmarkt und Krippenspiel. Vor der Bergretterzentrale stand ein großer Glühweinstand. Die Hofbewohner packten sich alle dick ein und machten sich auf den Weg. Emilie und Tobias liefen zu Fuß, Markus bestand aber darauf zu fahren, damit Katharina nicht laufen musste. Am liebsten hätte er sie in Watte gepackt, da er genau wusste, dass sie auch 2 Wochen nach der Entbindung noch mit Schmerzen zu kämpfen hatte. Aber sie wollte gerne hin und endlich ihre Freunde wiedersehen. Markus parkte direkt am Friedhof, sodass sie wirklich nur ein paar Meter zurücklegen mussten. Katharina besuchte vorher noch kurz ihr Sternenkind und versprach morgen, mit mehr Zeit und mit Markus und ihrer Schwester zu ihr zu kommen. 

Mit dem einen Arm schob Markus den hellbeigen Kinderwagen seiner kleinen Tochter, mit dem anderen drückte er seine Katharina fest an sich.  
Der Erste, der Katharina entdeckte, war Rudi. Er rannte auf sie zu und fiel ihr um den Hals. „Katharina“, flüsterte er immer wieder und drückte sie so fest an sich. 
„Rudi“, sagte Katharina gerührt. „Ich hab dich vermisst.“ 
„Geht’s dir gut?“, fragte er. 
„Ja, Rudi, es geht mir gut. Und ich geh’ auch nicht mehr weg, ich verspreche es dir. Schau mal, Markus und ich möchten dir jemanden vorstellen. Das ist Luisa Johanna, unsere Tochter.“ Rudi schaute überfordert zwischen Markus, Katharina und Luisa hin und her. 
„Wir erklären es dir zusammen mit den anderen. Okay?“ Markus schaute Rudi fragend an. 
„Soll ich mal alle zusammentrommeln? Geht schon mal vor in die Zentrale.“ 
„Super, mach das, wir gehen derweil rein.“ Markus schob Katharina sanft zur Tür und sie nahm am Besprechungstisch Platz. Nach und nach kamen alle ihre Freunde herein. Katharina war dankbar, dass das Wiedersehen in der Zentrale stattfand, wo sie sitzen konnte. Es wurde gedrückt, geknuddelt, geweint. Luisa schien die Anwesenheit der Freunde ihrer Eltern nicht das Geringste auszumachen, sie schlief zufrieden in ihrem Wagen. Katharina war gerührt, wie sehr sie offenbar von allen vermisst worden war. Rudi stellte fest, dass es das schönste Weihnachtsgeschenk war, dass er bekommen konnte. Er war einfach so glücklich, dass seine Freundin wieder da war. Rudi hatte immer schon einen Narren an Katharina gefressen und fühlte sich von ihr immer ernst genommen. Es gab auch reihenweise Angebote zum Babysitten für die frisch gebackenen Eltern. Gemeinsam schauten die Freunde das Krippenspiel in der Kirche, tranken, mit Ausnahme der jungen Eltern, Bier und Glühwein unter den warmen Heizstrahlern der Stehtische, damit das Baby nicht fror und schlenderten einmal über das aufgebaute Weihnachtsland. Markus hatte Katharina stets im Blick. Die Angst, dass sie sich übernehmen konnte, war einfach zu groß. Er sah sie so liebevoll an, dass ihr jedes Mal das Herz aufging. Nie wieder wollte sie je ohne ihn sein. In seiner Vaterrolle ging er zu ihrer Überraschung total auf, er war total verliebt in seine Tochter. Der Mann, der sich so vehement gegen ein Kind gewehrt hatte, hatte das Baby vom ersten Moment an angenommen. Katharina liebte es, ihn dabei zu beobachten, wie er Luisa die Welt erklärte und sie auch jetzt aus dem Wagen holte, liebevoll unter seine Jacke packte, um ihr den Baum auf dem Dorfplatz zu zeigen. Dass seine Tochter im Alter von zwei Wochen noch gar nicht richtig sehen konnte, verschwieg sie ihm einfach. Als sich der Hunger bei Luisa meldete, machten sich Markus und Katharina auf den Heimweg. Der Ausflug war lang und aufregend genug für die kleine Familie gewesen. 

Heiligabend besuchte Katharina mit Markus und Luisa ihr kleines Sternenkind. Katharina stellte einen Miniweihnachtsbaum auf das Grab ihrer kleinen Tochter. Er war verziert mit kleinen roten Kugeln und einer batteriebetriebenen Lichterkette. Die Momente, in denen Markus mit ihr am Grab gestanden hatte, waren selten. Jetzt erschien es ihr nur mehr als fair, ihn mit einzubeziehen in ihre immer noch vorhandene Trauer. Dass der Schmerz sie nie verlassen würde, das wusste sie. Nie könnte eine Mutter ihr Kind vergessen. Nie würde der Schmerz vergehen. Aber es gab auch ein Leben neben diesem Schmerz. Ein schönes Leben. Und irgendwie hatte sie ein wenig das Gefühl, dass ihr Kind aus dem Himmel da ein bisschen nachgeholfen hatte. Vielleicht wollte sie es auch einfach glauben. Katharina griff nach Markus Hand und drückte sie ganz fest. „Danke“, flüsterte sie. Erstaunt sah Markus sie an. „Wofür?“
„Für alles.“ Sie schaute ihm fest in die Augen. Markus schaute sie mit fragendem Blick an. „Dass ich meinen Kummer mit dir teilen kann und du mir nicht böse bist, weil dieser Kummer nie vergehen wird und immer ein Teil von mir bleiben wird. Du fängst mich auf und hast mir immer einen Grund gegeben, weiterzumachen, aufzustehen und zu leben. Auch wenn ich oft lieber gestorben wäre, um bei meinem Mädchen zu sein.“
Markus legte seine Arme um Katharina. „Ich werde immer bei dir und für dich da sein. Genau wie du es immer für mich bist. Diesmal wird uns nichts und niemand mehr auseinander bringen.“ 
 

Nach dem Besuch auf dem Friedhof kuschelten sich Markus und Katharina im Licht ihres Weihnachtsbaums auf das Sofa. Katharina fror seit der Geburt des Öfteren und Markus wärmte sie immer liebevoll, indem er sich hinter sie legte und eine Kuscheldecke über ihnen ausbreitete. Beide genossen diese Momente sehr. Katharina war froh, Markus Nähe so intensiv spüren zu dürfen und Markus war froh, seine Seelenverwandte wieder so nah bei sich zu haben. Beide genossen die freie Zeit miteinander sehr, die gleichzeitig die Kennenlernzeit ihrer kleinen Tochter war und Erholung für Katharina. Sie versuchten Mia zu erreichen, um ihr wenigstens am Telefon frohe Weihnachten zu wünschen. Aber Mia war mit ihrem Vater zum Skilaufen in Grindelwald und hörte offensichtlich ihr Handy nicht. Katharina hatte in ihrer Zeit in Salzburg auch mehrfach versucht Mia anzurufen, aber Mia hatte sie stets abgewürgt. Auch heute erreichten sie ihre große Tochter wieder nicht. Markus seufzte. „Sie will einfach nichts mehr von uns wissen.“
„Tja, sie ist eben mittlerweile eine junge Frau, die haben andere Interessen.“ Katharina wusste, dass es Markus deswegen schon lange nicht gut ging und auch ihr tat es in der Seele weh, dass Mia sich so von ihnen abgewandt hatte. Aber sie versuchte, sie zu verstehen.
„Haben wir denn so viel falsch gemacht?“, fragte Markus bedrückt.
„Ich glaube, wir haben gar nicht so viel falsch gemacht. Bevor Lorenz kam, war sie ja glücklich bei uns. Sie will jetzt eben die Zeit voll ihrem leiblichen Vater widmen. Vielleicht möchte sie einfach das Verpasste aufholen. Und wir beide sind eben nicht ihre richtige Familie. Aber das bedeutet nicht, dass wir zwingend schlechte Eltern für sie gewesen sind. Jetzt ist sie schon so groß und erwachsen für ihr Alter, dass sie sich abnabelt und uns nicht mehr braucht. Das ist hart für uns, aber der normale Lauf der Dinge.“ Tröstend streichelte Katharina über seine Hand, die er auf ihrem Brustkorb abgelegt hatte.
„Katharina?“, fragte er zaghaft und kitzelte dabei leicht an ihrem Ohr, bevor er ihr einen Kuss auf die Wange hauchte.
„Ja?“
„Geh nie, nie wieder weg!“ Katharina drehte sich nun in seinem Arm herum, um ihn ansehen zu können. „Ich gehe nie, nie wieder weg. Ich verspreche es dir. Aber wir müssen immer miteinander reden, es darf nie mehr so verkorkst werden.“
Markus nickte nur und schluckte. „Nie wieder. Wir müssen das doch geregelt bekommen.“ 
„Das müssen wir. Nicht nur für uns selbst, auch für unser kleines Wunder.“
„Meinst du, wir werden wenigstens für Luisa gute Eltern sein?“, fragte Markus unsicher.
„Natürlich. Die wichtigste Voraussetzung erfüllen wir doch schon. Sie hat Eltern, die sich wirklich lieben. Auch wenn ihre Eltern manchmal ein bisschen bescheuert sind und sich selbst im Weg stehen.“
Markus grinste, küsste sie und zog sie noch näher an sich heran. „Ein bisschen Zeit haben wir noch, bis wir später ins Haupthaus müssen“, grinste er.
„Ich muss dich leider enttäuschen, Papa, auch wenn die kleine Motte gerade so schön schläft, aber mit Sex musst du dich noch gedulden. Das dauert definitiv noch ein paar Wochen.“
„Hey, alles gut. Die Hauptsache ist, dass ich dich wiederhabe. Das ist alles, was zählt. Und mit dir hier zu liegen und einfach zu kuscheln ist nicht weniger schön. Dich wieder in meinen Armen zu halten, ist einfach ein so unbeschreiblich schönes Gefühl. Ich bin glücklich, Katharina. Einfach nur richtig glücklich.“ Markus schaute Katharina so voller Liebe an, dass ihr unweigerlich die Tränen über die Wangen liefen.
„Ich auch, Markus, ich bin auch glücklich. Du und Luisa, Ihr macht mein Leben einfach wieder so schön. Ich liebe euch so sehr.“ Katharina schmiegte sich eng an Markus Brust und musste leicht gähnen.
„Schlaf noch ein bisschen, wir haben noch Zeit.“ Behutsam streichelte er über ihr Haar.
„Schrecklich, ich bin immer sofort müde und so schnell kaputt. Dabei ist unser Kind so unfassbar pflegeleicht. Aber jetzt weiß ich, was Wochenbett wirklich bedeutet“
„Aber das ist doch normal. Das hat die Emilie mir das schon alles erklärt. Dein Körper hat eine Höchstleistung vollbracht und muss sich nun erholen. Das bedeutet eben halt Schonung, Schlafen und das volle Markus-Verwöhnprogramm.“
„Mhhhm, das klingt gut“, murmelte sie. 

Katharina war wirklich in Markus Armen eingeschlafen und auch er hatte die Augen geschlossen und döste. Luisa ließ ihre Eltern auch wirklich schlafen, bis es Zeit wurde, sich umzuziehen. Markus hatte sich in sein schwarzes Hemd, das Katharina so gern an ihm sah und in seine blaue Jeans geworfen, während Katharina sich für eine bequeme Leggings und einen lockeren Strickpullover entschieden hatte. Für ihre Blusen hatte sie aktuell auch viel zu viel Oberweite. Luisa hatte von Tobias einen Weihnachtsstrampler geschenkt bekommen, den Katharina gerade ihrer Tochter anzog. „Du bist gerade mal zwei Wochen alt und dein Onkel macht schon sowas mit dir, hm. Aber süß schaust du aus.“ Zärtlich stupste sie ihrer Tochter an die kleine Nase. „Guck mal schnell, Markus, sie lächelt.“ Aufgeregt rief Katharina ihn herbei. Markus machte direkt ein Foto von seiner Tochter. Noch immer konnte er sein Glück kaum fassen. Katharina zog der Kleinen eine dicke Jacke samt Handschuhen an, setzte ihr ein Mützchen auf und wickelte sie noch in eine Decke. Schnell schlüpfte sie in ihre Moonboots und ihre Jacke.
„Gib mir die Kleine, ich trage sie.“ Markus war sofort zur Stelle, um ihr das Baby abzunehmen. Draußen erstrahlte schon der Weihnachtsbaum, das Haupthaus war feierlich beleuchtet und der Hof dekoriert mit kleinen Fackeln. Katharina blieb in der Tür stehen. „Schau mal, Markus, wie schön unser Hof ausschaut.“ Sie saugte den Anblick regelrecht auf. Das hier war einfach ihr zu Hause. Sie spürte es so sehr und strahlte Markus mit ihren großen, braunen Augen an. Die Tür vom Haupthaus öffnete sich. „Na endlich, wir warten schon auf euch“, rief Tobias quer über den Platz.
„Wir kommen gleich“, rief Markus zurück. „Ich muss noch kurz was mit Katharina besprechen.“ Erstaunt schaute Katharina ihn an. Doch statt einer Antwort gab Markus ihr einen Kuss. Fragend sah sie ihn an. „Schau mal hoch“, grinste er schelmisch. Katharina hob den Blick nach oben und musste einfach lachen. Über ihren Köpfen hingen Mistelzweige.
„Du weißt, was das bedeutet?“, fragte sie lächelnd.
„Ja. Dass ich dich jetzt leider fragen muss“, lachte er. „Ob du willst oder nicht … Spaß beiseite. Katharina, es gibt keine andere Frau auf dieser Welt, mit der ich alt werden will. Es gibt keine Frau, die ich mehr lieben könnte als dich. Ich möchte, dass du immer bei mir bist und ich möchte, dass wir gemeinsam weiter durchs Leben gehen. Nie wieder möchte ich dich verlieren. Das könnte ich nicht ertragen. Ich liebe dich, Katharina.“ Er griff zärtlich nach ihrer Hand und schob dabei einen Ring auf ihren Finger. „Willst du meine Frau werden?“
Katharinas Augen hatten sich bereits mit Tränen gefüllt. Sie legte ihre Hände um sein Gesicht und zog ihn ein wenig zu sich runter, sodass sie ihn küssen konnte.
„Ist das ein ja?“, fragte Markus unsicher.
„Ja, Markus, das ist ein ja. Ja, ja, ja! Ich will deine Frau werden.“
Markus umarmte seine beiden Frauen und flüsterte: „Frohe Weihnachten.“
Katharina schmunzelte: „Frohe Weihnachten.“