Liebe ist stärker

„Katharina! Verdammt, jetzt warte doch. So meinte ich das doch gar nicht.“  
„Lass gut sein, Markus, ich habe dich sehr wohl verstanden.“ Katharina sprang in ihren schwarzen Jeep, ließ den Motor an und trat so fest aufs Gaspedal, dass der Schotter über den Hof wirbelte. Ihre Hände zitterten, ihr Herz klopfte so hart gegen ihre Brust, dass sie glaubte, ersticken zu müssen und die ersten Tränen kullerten unaufhaltsam über ihre Wangen. Den Dauerpiepton ihres Wagens, der sie auf ihr fehlendes Anschnallen hinweisen wollte, nahm sie nicht einmal wahr. Erst, als sie vor der Hauptstraße zum Stehen kam, holte sie ihr Versäumnis nach. Wie ferngesteuert fuhr sie zum Klinikum Schladming. Ihre Schicht begann zwar erst in eineinhalb Stunden, aber sie wollte einfach nur weg. Weg von dem Mann, den sie über alles liebte, aber dessen Worte ihr gerade das Herz buchstäblich in zwei Teile gerissen hatten. Seine Worte hallten in Endlosschleife durch ihren Kopf wie ein nie endendes Echo. „…nein, keine Kinder!“ Markus hatte ihr die Worte förmlich entgegen geschrien. Immer noch aufgelöst und zitternd erreichte sie ihren Mitarbeiterparkplatz im Parkhaus des Krankenhauses. 

Markus lehnte sich von innen gegen die Haustür des kleinen Holzhauses. Auch seine Augen hatten sich mit Tränen gefüllt. Langsam rutschte er an der Tür entlang zum Boden, vergrub sein Gesicht an seinen angewinkelten Knien und begann laut zu schluchzen. Das hatte er nicht gewollt. Er wollte Katharina nicht anschreien und schon gar nicht verletzen. Nichts auf der Welt wünschte er sich doch mehr als gemeinsame Kinder mit ihr. Es brach ihm das Herz, dass er ihren größten Wunsch nicht erfüllen konnte. Immer, wenn sie bei Nick und seinen Kindern war, war sie glücklich. Und eben gerade war sie wieder so verzweifelt gewesen, dass sie förmlich geflüchtet war. Markus brauchte etwas Zeit, um wieder halbwegs denken zu können und machte sich auf den Weg nach Schladming. Er musste mit ihr sprechen. Und zwar jetzt, nicht erst nach ihrem Dienstschluss.  

„Katharina, was ist passiert?“ Verena sah ihre Freundin besorgt an. Dass Katharina geweint hatte, das ließ sich nicht verheimlichen. Katharina schaute ihre Freundin an und begann direkt wieder zu schluchzen.  
„Komm mal mit.“ Verena griff nach ihrer Hand und zog sie in ihr Arztzimmer. Die Belegschaft musste Katharina nicht in diesem Zustand sehen und erst recht musste das nicht die Runde durch die Ramsau machen. Verena schob Katharina auf den Besucherstuhl vor ihrem Schreibtisch. Dann schnappte sie sich ein Glas und gab etwas Mineralwasser für ihre Freundin hinein.  
„Trink mal einen Schluck und dann erzähl. Was ist passiert?“  
Katharina nahm dankbar das Glas entgegen. Sie hatte tatsächlich wahnsinnigen Durst. Verena zog den zweiten Besucherstuhl heran und sah Katharina fragend an. „Markus“, sagte sie leise.  
„Was ist mit Markus?“, fragte Verena alarmiert. Katharina schluchzte wieder und stellte das Glas auf den Schreibtisch.  
„Ich dachte, er liebt mich und will Kinder mit mir. Aber das will er gar nicht.“ Katharina weinte nun wieder heftig los. Verena nahm sie in den Arm.  
„Hey, der Markus liebt dich. Mehr als sein Leben. Das hat er immer getan. Die Frage ist doch gerade eher: liebst du ihn noch? Du hängst ja nur noch bei Nick und seinen Kindern herum.“  
„Natürlich liebe ich Markus. Ich liebe ihn so sehr. Aber er will kein Kind mit mir!“  
„Hat er das wirklich SO gesagt? Hast du da nicht etwas missverstanden?“  
„Nein“, schluchzte sie. „Er hat mich gerade förmlich angeschrien.“  
„Katharina, du weißt, wir unterliegen dem Arztgeheimnis, aber ich kann dir nur sagen: rede mit ihm!“  
Mit großen, geröteten Augen sah Katharina Verena an. „Was ist mit Markus?“  
„Das muss er dir schon selbst sagen. Bitte, Katharina, sprich mit ihm. Und bitte glaub mir: er liebt dich.“  
„Aber…“ Katharina war sichtlich aufgewühlt.  
„Du meldest dich für heute bei mir krank, zum Arbeiten bist du so nicht in der Lage. Und ich fahr dich jetzt nach Hause zu Markus. Morgen hast du eh frei, dann könnt ihr euch in Ruhe aussprechen.“  
„Danke.“ Als die Freundinnen sich auf den Weg machen wollten, klopfte es an der Tür. Verena öffnete und Markus stand vor ihr. Genauso aufgelöst und verheult wie Katharina.  
„Hey Verena, hast du Katharina gesehen? Ich muss sie dringend sprechen.“  
„Komm rein“, sie zog ihn am Ärmel ins Zimmer. „Die ist hier.“  
„Katharina, Gott sei Dank.“ Markus sah ihr in die Augen und stürzte auf sie zu, um sie in seine Arme zu ziehen. Er klammerte sich an seine Freundin als würde er ertrinken und begann bitterlich zu weinen.  
„Ich lass euch mal alleine.“ Leise verschwand Verena aus ihrem Zimmer. Minutenlang standen sie eng umschlungen im Raum und weinten, bis Markus zu sprechen begann. „Katharina, ich muss dir etwas sagen. Aber bitte nicht hier.“  
Sie nickte. Markus griff nach ihrer Hand und zog sie hinter sich her. Bis sie Markus Auto erreicht hatten, hielt er ihre Hand fest in seiner. „Lass uns in die Berge fahren.“  

Markus parkte den Ford vor der kleinen Hütte seines Vaters. Da Katharina nur Straßenschuhe trug, musste es ein leicht begehbarer Weg sein und dazu abgeschieden. Er wollte einfach nicht, dass jemand Katharina und ihn sah und hier kamen nur selten Menschen vorbei. Markus umrundete seinen Wagen und ergriff Katharinas Hand. Gemeinsam liefen sie über den Forstweg.  
„Katharina, es tut mir leid. Ich hätte dich nicht so anschreien dürfen. Aber das Kinderthema hat mir einfach den Boden unter den Füßen weggerissen.“  
„Warum möchtest du kein Kind mit mir haben? Liebst du mich nicht mehr?“  
„Um Himmels Willen, Katharina, ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt. Denk bitte sowas nie, nie wieder.“ Markus blieb stehen und zog sie fest an sich.  
„Ich werde dich immer lieben, hörst du?“  
Er löste sich aus der Umarmung und strich mit seinem Daumen über ihre Wange.  
„Ich hätte so schrecklich gern ein Kind mit dir. Aber es geht nicht.“  
Markus Augen füllten sich wieder mit Tränen.  
„Warum nicht?“, fragte sie leise.  
„Weil ich es nicht kann. Du erinnerst dich an meinen Unfall in Peru?“  
Sie nickte und griff wieder nach Markus Hand, während sie langsam weiterliefen. „Damals ist noch mehr kaputt gegangen als mein Rücken. Ich hab davon erst erfahren, als in einer vorigen Beziehung der Kinderwunsch aufkam. Katharina, …ich…. Ich…“, stammelte er.  
„Du kannst keine Kinder zeugen?“, fragte sie fast tonlos.  
Markus nickte. Eine Träne lief über seine Wange. „Es tut mir so leid.“  
Katharina musste schlucken, auch ihre Augen füllten sich wieder mit Tränen.  
„Ich bin zu 99% zeugungsunfähig. Ich war nochmal in der Klinik, um es testen zu lassen. Heute Morgen hab ich das Ergebnis bekommen. Und als du dann vorhin wieder mit Kindern angefangen hast, da ist alles über mir zusammengebrochen.“ Katharina steuerte wortlos eine ihrer Lieblingsbänke an, die etwas seitlich des Wegs lag, aber einen wunderschönen Blick über die Ramsau gewährte und ließ sich darauf nieder. Markus setzte sich neben sie.  
„Katharina, es tut mir so unendlich leid, dass ich dir deinen größten Wunsch nicht erfüllen kann. Ich will deinem Traum aber nicht im Wege stehen. Wenn du mit Nick und seinen Kindern und vielleicht auch eigenen Kindern leben möchtest, dann akzeptiere ich das. Er kann dir alles geben, was ich dir nicht geben kann. Mit ihm bist du besser dran als mit mir und du musst nicht immer Angst haben, dass bei den Einsätzen was passiert. Bei ihm und den Kindern bist du wenigstens glücklich, was du bei mir seit Mias Weggang ja nicht mehr bist. Also, geh zu ihm und werde glücklich, Katharina. Ich gebe dich frei.“ Markus Kinn zitterte während er sprach. Es fiel ihm schwer, die Worte auszusprechen, aber es war für ihn das Wichtigste, dass es Katharina gut ging. Markus konnte ihrem Blick nicht mehr standhalten und erhob sich von der Bank.  
„Denk in Ruhe darüber nach. Ich will nicht, dass du etwas wegen mir verpasst, das bin ich nicht wert.“  
Er wandte sich ab und setzte sich langsam Richtung Hütte in Bewegung. Seine Augen waren so mit Tränen gefüllt, dass er die Schönheit der Berge nicht mehr erkennen konnte.  
Katharina saß immer noch bewegungslos auf der Bank. In ihrem Kopf war so viel Chaos. Ihr war nicht klar, wie sehr sie Markus mit den vielen Besuchen bei Nick und seinen Kindern gequält hatte.  
„Markus“, rief sie. Dieser blieb stehen, drehte sich allerdings nicht direkt zu ihr herum. Er hatte Angst vor dem, was sie jetzt sagen würde. Er konnte verstehen, wenn Nick das Rennen machen würde, immerhin gab es in seinen Augen keinen triftigen Grund, warum eine Frau wie Katharina ausgerechnet bei ihm bleiben sollte. Sie hatte Besseres verdient.  
„Markus“, rief sie ein weiteres Mal. Diesmal drehte er sich herum und sah sie auf sich zu laufen. Als sie ihn erreicht hatte schlang sie ihre Arme um seinen Körper und weinte bitterlich. Markus legte schützend seine Arme um sie und strich ihr zärtlich über die blonden Locken, bis sein Hemd tränennass war und sie sich wieder beruhigt hatte.  
„Ich will keinen anderen Mann, ich liebe dich doch. Es tut mir so leid, dass ich dich so verletzt habe.“  
„Bist du sicher?“ Fragend suchte er in ihren Augen die Antwort. Sie hielt seinem Blick stand. „Ja, weil ich dich liebe. Markus, ohne dich könnte ich nicht glücklich werden.“
„Du willst also wirklich bei mir bleiben? Obwohl du mit mir kein eigenes Kind haben kannst? Hast du dir das gut überlegt?“  
Sie nickte. “Da brauche ich nicht lange zu überlegen.”  
„Gott, bin ich froh“, atmete er erleichtert aus. „Ich hab dich schon an seiner Seite gesehen.“  
„Ich will ehrlich sein: Ich habe die Zeit mit den Kindern wirklich sehr genossen. Es tat mir gut und ja, ich hätte unglaublich gern ein Kind. Aber mit dir! Ich werde zukünftig seine Kinder nicht mehr betreuen. Er hat versucht, mich zu küssen. Ich wollte es dir eigentlich gar nicht sagen, weil es für mich keinerlei Bedeutung hatte. Aber ich denke, das wäre dir gegenüber nicht fair gewesen.”  
Er nickte. Wirklich überrascht war er nicht. Michi hatte ihn schon darauf angesprochen und er selbst hatte die verliebten Blicke gesehen, die Nick seiner Freundin zuwarf.  
„Katharina, wenn ich dich verloren hätte, wäre das das Schlimmste gewesen. Aber ich hätte dich gehen lassen, wenn du dann glücklich gewesen wärst.“  
„Wie soll ich denn bitte ohne dich glücklich werden? Geht doch gar nicht. Ich schlaf doch noch nicht mal richtig, wenn du nicht da bist.“  
Markus hielt Katharina weiterhin im Arm, während sie zurück zum Auto liefen.  
“Und du bist dir wirklich sicher?”  
“Markus, jetzt hör auf. JA, ich liebe dich und will nicht ohne dich leben. Nie mehr!”  
Er zog sie näher an sich und küsste sie. Der Kuss wurde immer leidenschaftlicher. “Fahren wir nach Hause”, flüsterte Katharina und zog Markus grinsend an der Hand weiter in Richtung Auto. 

Eineinhalb Jahre später 

Aufgeregt saßen Katharina und Markus beim Jugendamt.  
„Herr und Frau Kofler, ich gratuliere, Sophia ist nun ihre Tochter.“  
„Dankeschön“, antworteten beide im Chor und strahlten mit der Sonne um die Wette. Die Geschichte um Sophias Eltern war allerdings eine sehr traurige. Die Bergretter hatten sie an Heiligabend tot in den Bergen gefunden. Sie waren in einen Steinschlag geraten und es grenzte an ein Wunder, dass Sophia im Bauch ihrer Mutter überlebt hatte. Katharina hatte der Einsatz sehr mitgenommen und sie hatte sich aufopferungsvoll um das kleine Mädchen gekümmert, das viel zu früh das Licht der Welt erblickt und ihre Herzen im Sturm erobert hatte. Verena hatte Frau Schmidt vom Jugendamt angerufen, da sie sie schon länger kannte und sie gebeten, das kleine Mädchen zu Markus und Katharina zu geben, sobald sie das Krankenhaus verlassen konnte. Nachdem die Suche nach Verwandten erfolglos blieb hatte Frau Schmidt öfter im Krankenhaus vorbeigeschaut. Immer fand sie Markus oder Katharina dort vor, die mit dem Baby sprachen oder es auf dem Bauch liegen hatten, um ihm Nähe und Wärme zu geben und somit dazu beitrugen, dass sich das Kind gut entwickelte. Ihr Eindruck von dem Paar, das sich mittlerweile das Ja-Wort gegeben hatte, war so positiv, dass sie mit gutem Gefühl der Adoption zustimmte. Und heute konnten sie das kleine Mädchen aus dem Krankenhaus mit nach Hause nehmen. Katharina hatte drei Jahre Elternzeit beantragt, denn sie wollte keinen Tag verpassen. Markus trug stolz den Maxi Cosi zum Auto und brachte seine beiden Frauen heim. Auf dem Hof stand Lorenz Auto.  
„Mia?“, sprachen sie zeitgleich und sahen sich fragend an. Sie waren kaum ausgestiegen, da stürmte Mia auch schon aus dem Haupthaus.  
„Mama, Papa“, rief sie.  
„Mia!“ rief Katharina und umarmte ihre große Tochter herzlich.  
„Hey, meine Große.“ Mia kuschelte sich in Markus Arm.  
„Hey Papa.“  
Katharina hob Sophia aus dem Maxi Cosi.  
„Schau, das ist deine Schwester.“  
„Ist die süß. Und sie hat echt an Heiligabend Geburtstag? Dann gehört sie ganz klar zu euch. Ihr seid an Heiligabend zusammengekommen und es ist euer Hochzeitstag.“
„Darüber hab ich noch gar nicht nachgedacht“, stellte Katharina fest.  
„Bleibst du über Ostern bei uns, Mia?“, fragte Markus.  
„Wenn ihr mich lasst, dann auch bis Weihnachten – dieses Jahr, nächstes Jahr, übernächstes Jahr, überübernächstes Jahr.“, grinste Mia schelmisch.  
„Du kommst nach Hause?“, fragte Katharina hoffnungsfroh.  
„Wenn ihr mich noch haben wollt?“  
„Was für eine Frage. Endlich ist die Familie komplett“, strahlte Markus und legte seine Arme um seine Frauen. Nie wieder würde er eine davon gehen lassen und immer auf sie aufpassen, schwor er sich und konnte sein Glück kaum fassen.